Knapp 40 Männer und Frauen fast jeden Alters – von 27 bis 87 Jahren – nutzten die Chance zum Austausch, untereinander sowie mit Politikexpert*innen und Politiker*innen. In virtuellen Räumen wurden Ideen für eine zukunftsfähige Demokratie entwickelt. Denn: „Wir haben es in der Hand“, brachte Dr. Ralf Nemetschek die Beweggründe für persönliches Engagement auf einen Nenner.
MEHR EMPATHIE MUSS HER
„Wer, wenn nicht wir?“ startete am Freitagabend mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Zwischen Engagement und Entfremdung – braucht die Demokratie ein Update?“. Es diskutierten die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Prof. Dr. Ursula Münch, die Buchautorin und Umweltaktivistin Franziska Heinisch sowie Simon Strohmenger vom Verein „Mehr Demokratie“. Prof. Münch sprach sich für mehr „Bürgerräte“ aus. Diese Gremien aus ausgelosten Personen könnten zum Beispiel auch in Gesetzgebungsprozesse eingebunden werden. „Beteiligung wird häufig von oben gedacht“, kritisierte Franziska Heinisch. Sie wünscht sich ein „reales Gegengewicht zu den Interessenvertretungen großer Konzerne und ökonomischer Eliten“. Simon Strohmenger sieht ein Problem darin, dass bei vielen Verfahren der Bürgerbeteiligung einfach zu wenige Menschen erreicht werden. „Um dies aufzubrechen ist eine Verknüpfung von analogen und digitalen Instrumenten notwendig“, so Strohmenger.
Einig waren sich die drei, dass gute Verfahren zur Bürgerbeteiligung auch das Vertrauen in die Politik wieder aufbauen können. Eine stärkere Vernetzung der Menschen mit guten Ideen sei künftig nötig und auch mehr politische Bildung an Schulen, damit die nächste Generation überhaupt befähigt wird, zu diskutieren und sich mit Themen auseinanderzusetzen. Ebenfalls wünschenswert: Mehr gegenseitige Empathie zwischen Politiker*innen auf der einen und Bürger*innen auf der anderen Seite, um allen mehr Lust auf Beteiligung zu machen.
Am zweiten Tag standen ganz die Ideen, Visionen und Lösungsansätze der Teilnehmer*innen im Mittelpunkt. Sie arbeiteten in sechs Gruppen zu den drei großen Themen „Digitalisierung“, „nachhaltiges Wirtschaften“ und „Bürgerbeteiligung“. Einige der Gedanken der Expert*innen aus der Podiumsdiskussion von Freitagabend wurden von den Arbeitsgruppen zum Thema „Wie kann mehr Bürgerbeteiligung künftig aussehen“ fortgeführt. Etwa die frühe Einbindung der jungen Generation: Vorgeschlagen wurde, Kinder über konkrete Projekte in der Schule an Politik heranzuführen. Auch die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 war eine Empfehlung der Teilnehmenden, ebenso die Einrichtung von Kinder- und Jugendparlamenten. Für Bürgerräte wurden ganz konkrete Umsetzungsvorschläge ausgearbeitet, etwa die Abbildung eines breiten Spektrums der Gesellschaft, die Einberufung dieser Gremien durch Kommunen und ein moderierter, mehrstufiger Prozess.
WERTEWANDEL GEWÜNSCHT
Auch über nachhaltiges Wirtschaften wurde bei „Wer, wenn nicht wir?“ nachgedacht: Die Arbeitsgruppen zu diesem Thema wünschten sich insbesondere, dass im Gesundheitswesen das Patientenwohl im Mittelpunkt steht und nicht die Kosten. In der Unternehmenskultur soll ein Wertewandel vollzogen werden hin zu Humanisierung und ressourcenschonender Produktion. Auch ein nachhaltig aufgestelltes Rentensystem wurde gefordert.
„Den Lernprozess vom Menschen her denken“ – das wünschten sich die Tagungsteilnehmer*innen beim Thema Digitalisierung und begannen schon mal selbst damit, indem sie Ziele und Forderungen aus Sicht der Bürger*innen formulierten, darunter etwa: Digitale Teilhabe sollte ein Grundrecht sein und allen Bürger*innen sollten Zugang und Umgang zur digitalen Welt ermöglicht werden. Es soll ein sicheres, vertrauenswürdiges Netz geschaffen werden. Die Vorteile digitaler Verwaltung sollen genutzt werden – mit barrierefreien Zugängen.
MIT POLITIKER*INNEN IM DIALOG
Die Teilnehmenden diskutierten sehr engagiert, auffallend war der wertschätzende und achtsame Umgang, durch den die unterschiedlichsten Standpunkte genügend Raum erhielten. Die ausgeprägte Dialogbereitschaft wurde auch im Gespräch mit den eingeladenen Politiker*innen deutlich. So nahm Jamila Schäfer, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/Die Grünen, das Thema Bürgerräte auf: „Es ist wichtig, festzulegen, was mit den Ergebnissen passiert. Das Parlament sollte sich in einer angemessenen Frist damit beschäftigen.“ Arif Taşdelen, Landtagsabgeordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender sowie Generalsekretär der BayernSPD wünscht sich, dass die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten stärker ausgeschöpft werden. Denn: „Manche Menschen haben wenig Beteiligungsmöglichkeiten, z.B. unter 18-Jährige, ebenso Menschen mit ausländischem Pass.“ Wolfgang Heubisch (FDP), Vizepräsident des Bayerischen Landtags, war es wichtig zu betonen: „Ich denke schon, dass durch die Wahl des Abgeordneten letztlich ein demokratischer Prozess in Gang gesetzt ist, der auch die Gesellschaft als Ganzes berücksichtigt.“
„Wer, wenn nicht wir?“ im November war das erste Projekt der drei Kooperationspartner. „Trotz der kurzfristigen Umplanung von Präsenz in Online war es eine tolle Veranstaltung“, sagte Silke Zimmermann, Programmleiterin und Mitglied der Geschäftsführung der Nemetschek Stiftung. Sie freute sich besonders über die lebhaften Diskussionen und den intensiven Austausch zwischen den Teilnehmer*innen.
Über „Wer, wenn nicht wir?“
„Gemeinsam Politik und Gesellschaft neu denken!“ – das ist die Leitidee des gemeinsamen Projekts von Nemetschek Stiftung, der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und Bayern 2. Mehr Infos zu „Wer, wenn nicht wir?“ finden Sie auf unserer Projektseite sowie auf der Website von Bayern 2.