Die Coronakrise hat in der Gesellschaft zu einer Menge Streit geführt. Corona-Leugnerinnen und -Leugner haben gegen die Maßnahmen demonstriert und verweigern die Impfung. Was tun?
Romy Jaster
Man sollte es sich auch mit den Erklärungen für verschwörungstheoretisches Denken nicht zu leicht machen. Häufig wird von außen psychologisiert, dass diese Meinung aus einem übergroßen Kontrollbedürfnis heraus vertreten und deshalb zu Auffassungen neigen wie der, dass irgendwelche Personen das Weltgeschehen lenken und wir „Schlafschafe“ das nicht mitbekommen. Diese Theorie bedeutet jedoch einen noch viel größeren Kontrollverlust als den, der kritisiert wird. Das widerspricht der Ausgangsthese. Die Gründe, aus denen Menschen Verschwörungstheorien anhängen, sind häufig komplex und uneinheitlich.
Ich finde es daher wichtig, genau hinzuhören, weil Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker nicht ein homogenes Überzeugungspaket vertreten, sondern ganz verschiedene Überzeugungen. Man kann Impfskeptikerin oder -skeptiker sein, ohne das Virus komplett zu leugnen. Einige behaupten, dass die Pharmaindustrie ein Interesse hat, möglichst viele Impfungen auszugeben und die Politik es wegen vieler Verstrickungen nicht schafft, sich dagegen durchzusetzen. Das ist auch eine Verschwörungstheorie, aber eine, die nicht komplett irre ist.
Manche denken auch, dass die Coronamaßnahmen übertrieben sind.
Romy Jaster
Die Gründe, aus denen Menschen Verschwörungstheorien anhängen, sind häufig komplex und uneinheitlich.
Romy Jaster
Leiterin des Forums Streitkultur in Berlin
Manchmal möchte man aufgeben dagegen zu halten.
Romy Jaster
Allerdings sollte man sich vorher über die Gelingensbedingungen für ein gutes Gespräch Gedanken machen. Wie viel Zeit steht zur Verfügung? Wie ist die gegenseitige Offenheit für die Gedanken des anderen einzuschätzen? Wie ist der Kontext, in dem das Gespräch stattfindet?
Besonders das Letztere scheint wichtig: Auf einer Anti-Corona-Demo wird es kaum gelingen, ein Gespräch zu führen.
Romy Jaster
Das trifft auch auf Diskussionen im Wahlkampf zu. Wie viel Informationsgehalt haben zum Beispiel Talkshows?
Romy Jaster
Lassen Sie mich etwas grundsätzlich erklären. Streit kann verschiedene Formen haben: Zwei Personen haben in einer Sache wie der Vermögenssteuer unterschiedliche Meinungen und diskutieren das. Dann ginge es für beiden Seiten um einen Erkenntnisgewinn. Oder es geht um einen Interessenkonflikt – wenn eine Person die Vermögenssteuer will und die andere will sie verhindern. Letzteres steht im Wahlkampf im Vordergrund. Es geht darum zu zeigen, was passieren würde, wenn eine Person oder eine Partei an der Macht wäre.
Rechnen Sie so gesehen mit einem harten Wahlkampf? Der Auftakt mit den Diskussionen um Annalena Baerbock war ja schon ziemlich kontrovers.
Romy Jaster
Unser politisches System hat eine eingebaute Tendenz zur Moderation.
Romy Jaster
Leiterin des Forums Streitkultur in Berlin
Diese rufen anscheinend viele Menschen auf den Plan, die sich vor vier Jahren bei den Protestwählerinnen und -wählern fanden. Auf diese setzte besonders die AFD.
Romy Jaster
Nach den Voraussagen wird die AFD bei den kommenden Wahlen weniger Stimmen erhalten als beim letzten Mal.
Romy Jaster
Vor Jahren wurde viel über Politikmüdigkeit geschrieben.
Romy Jaster
Über Romy Jaster
Romy Jaster, geboren 1985 im westfälischen Bünde, ist Gründerin und Leiterin des Forums Streitkultur (forum-streitkultur.de) sowie Dozentin am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin (HU Berlin / Theoretische Philosophie / Philosophiegeschichte). Sie beschäftigt sich mit Willensfreiheit, Fähigkeiten, Fake News und konstruktivem Diskurs.
Merken Sie das auch bei Ihren Studierenden?
Romy Jaster
Damit kommen wir zurück zu den Verschwörungstheorien und den Gefährdungen der Demokratie. Damit beschäftigen Sie sich auch im Forum für Streitkultur, das Sie mit einem Kollegen gegründet haben.
Romy Jaster