17. August 2021

Politische Talkshows sind Inszenierungen von Diskussionen

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Die Philosophin Romy Jaster, eine Expertin für Streitkultur, hält es für besser, Verschwörungstheoretiker nicht auszugrenzen, sondern nachzufragen, was sich hinter den Thesen verbirgt. Hier erklärt sie, wie schwierige Gespräche zu guten Ergebnissen führen.

Politische Talkshows sind Inszenierungen von Diskussionen
Das „Forum für Streitkultur“ bietet Workshops an, in denen der Umgang mit Provokationen wie in Gesprächen mit Menschen, die Corona leugnen, trainiert werden kann. | © iStock/filo

Die Coronakrise hat in der Gesellschaft zu einer Menge Streit geführt. Corona-Leugnerinnen und -Leugner haben gegen die Maßnahmen demonstriert und verweigern die Impfung. Was tun?

Romy Jaster

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Reden. Ich finde es wichtig, nicht alle in einen Topf zu werfen, sondern sich mit der Meinung der Menschen auseinanderzusetzen. Die Positionen sind sehr unterschiedlich. Nicht alle sind so extrem, dass eine Diskussion von vornherein keinen Sinn macht.

Man sollte es sich auch mit den Erklärungen für verschwörungstheoretisches Denken nicht zu leicht machen. Häufig wird von außen psychologisiert, dass diese Meinung aus einem übergroßen Kontrollbedürfnis heraus vertreten und deshalb zu Auffassungen neigen wie der, dass irgendwelche Personen das Weltgeschehen lenken und wir „Schlafschafe“ das nicht mitbekommen. Diese Theorie bedeutet jedoch einen noch viel größeren Kontrollverlust als den, der kritisiert wird. Das widerspricht der Ausgangsthese. Die Gründe, aus denen Menschen Verschwörungstheorien anhängen, sind häufig komplex und uneinheitlich.

Ich finde es daher wichtig, genau hinzuhören, weil Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker nicht ein homogenes Überzeugungspaket vertreten, sondern ganz verschiedene Überzeugungen. Man kann Impfskeptikerin oder -skeptiker sein, ohne das Virus komplett zu leugnen. Einige behaupten, dass die Pharmaindustrie ein Interesse hat, möglichst viele Impfungen auszugeben und die Politik es wegen vieler Verstrickungen nicht schafft, sich dagegen durchzusetzen. Das ist auch eine Verschwörungstheorie, aber eine, die nicht komplett irre ist.

Manche denken auch, dass die Coronamaßnahmen übertrieben sind.

Romy Jaster

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Ja, häufig wegen des sogenannten Präventionsparadoxes: Wenn eine Präventionsmaßnahme geglückt ist, schließen einige daraus, dass die Maßnahmen gar nicht notwendig waren. Dieser Denkfigur sitzen viele Leute auf.

Die Gründe, aus denen Menschen Verschwörungstheorien anhängen, sind häufig komplex und uneinheitlich.Bild eines Anführungszeichens

Romy Jaster

Leiterin des Forums Streitkultur in Berlin

Manchmal möchte man aufgeben dagegen zu halten.

Romy Jaster

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Es gibt zwei Denklager, was das betrifft. Die einen möchten Corona-Leugnerinnen und -Leugner aus dem öffentlichen Raum aussperren. Ich denke aber, das muss man differenzierter sehen. Es stimmt, es gibt Positionen, die so abseitig sind, dass es keinen Sinn ergibt, sich auseinanderzusetzen. Doch ich plädiere dafür, genau hinzuschauen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man manche Personen im Gespräch erreicht.

Allerdings sollte man sich vorher über die Gelingensbedingungen für ein gutes Gespräch Gedanken machen. Wie viel Zeit steht zur Verfügung? Wie ist die gegenseitige Offenheit für die Gedanken des anderen einzuschätzen? Wie ist der Kontext, in dem das Gespräch stattfindet?

Besonders das Letztere scheint wichtig: Auf einer Anti-Corona-Demo wird es kaum gelingen, ein Gespräch zu führen.

Romy Jaster

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Das stimmt. Demonstrationen sind per se emotional aufgeheizte Situationen, in denen der Gruppendruck sehr groß ist. An so einem Moment wird kaum jemand die eigenen Ansichten infrage stellen.

Das trifft auch auf Diskussionen im Wahlkampf zu. Wie viel Informationsgehalt haben zum Beispiel Talkshows?

Romy Jaster

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Politische Talkshows sind Inszenierungen von Diskussionen. Die Teilnehmenden werden wie Gladiatoren aufeinander losgelassen. Der Erkenntniswert des Zuschauers besteht hauptsächlich darin zu sehen: Wie gut besteht eine Position, wenn man alles daransetzt, sie durchzuboxen?

Lassen Sie mich etwas grundsätzlich erklären. Streit kann verschiedene Formen haben: Zwei Personen haben in einer Sache wie der Vermögenssteuer unterschiedliche Meinungen und diskutieren das. Dann ginge es für beiden Seiten um einen Erkenntnisgewinn. Oder es geht um einen Interessenkonflikt – wenn eine Person die Vermögenssteuer will und die andere will sie verhindern. Letzteres steht im Wahlkampf im Vordergrund. Es geht darum zu zeigen, was passieren würde, wenn eine Person oder eine Partei an der Macht wäre.

Rechnen Sie so gesehen mit einem harten Wahlkampf? Der Auftakt mit den Diskussionen um Annalena Baerbock war ja schon ziemlich kontrovers.

Romy Jaster

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Ich fand die Debatte nicht dramatisch. Die Diskussion war relativ differenziert und das über die Gruppen hinweg, selbst im Grünen-nahen-Lager. In Deutschland gibt es glücklicherweise eine komplexe Parteienlandschaft, also anders als in anderen Ländern nicht nur zwei Lager. Das bedeutet, dass die Person, gegen die ich jetzt Wahlkampf mache, schon bald mein Koalitionspartner sein kann. Das führt zu einem Zwang, zusammenzuarbeiten. Unser System hat eine eingebaute Tendenz zur Moderation. Das heißt aber nicht, dass die Gesellschaft insgesamt harmoniebedürftig ist – das sieht man in den Sozialen Medien.

Unser politisches System hat eine eingebaute Tendenz zur Moderation.Bild eines Anführungszeichens

Romy Jaster

Leiterin des Forums Streitkultur in Berlin

Diese rufen anscheinend viele Menschen auf den Plan, die sich vor vier Jahren bei den Protestwählerinnen und -wählern fanden. Auf diese setzte besonders die AFD.

Romy Jaster

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Die im Moment keine große Rolle spielt. Protestwählertum ist dann plausibel, wenn es um Probleme geht, die nicht dringend gelöst werden müssen. Die Corona-Krise und solche Ereignisse wie die Flutkatastrophe sind aber drängend und da bietet die AFD wenig Lösungen an.

Nach den Voraussagen wird die AFD bei den kommenden Wahlen weniger Stimmen erhalten als beim letzten Mal.

Romy Jaster

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Ich bin keine Parteienforscherin, aber ich sehe beim Phänomen AFD einen Aufrütteleffekt für die, die nicht mit der AFD sympathisieren. Die Tatsache, dass die Partei so viel Zulauf hatte, hat gezeigt: Es gibt etwas zu verteidigen. Dadurch ist es in Teilen der Mehrheitsgesellschaft zu einer Re-Demokratisierung gekommen.

Vor Jahren wurde viel über Politikmüdigkeit geschrieben.

Romy Jaster

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Diese sehe ich überhaupt nicht. Es gibt eine extrem politische Nachwuchsgeneration. Die drohende Klimakatastrophe hat viele junge Menschen politisiert. Sie wollen partizipieren und mischen sich in die Parteipolitik ein. Besonders die Grünen stehen unter dem Druck der Fridays for Future-Bewegung.
Romy Jaster kennt sich aus in der hohen Kunst der Streitkultur. In Workshops kann man den Umgang mit Provokationen trainieren.
Romy Jaster kennt sich aus in der hohen Kunst der Streitkultur. In Workshops kann man den Umgang mit Provokationen trainieren. | © privat

Über Romy Jaster

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Romy Jaster, geboren 1985 im westfälischen Bünde, ist Gründerin und Leiterin des Forums Streitkultur (forum-streitkultur.de) sowie Dozentin am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin (HU Berlin / Theoretische Philosophie / Philosophiegeschichte). Sie beschäftigt sich mit Willensfreiheit, Fähigkeiten, Fake News und konstruktivem Diskurs.

Merken Sie das auch bei Ihren Studierenden?

Romy Jaster

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Ja. Fragen der Gerechtigkeit sind für sie wichtig. Die Themen, die derzeit auch im öffentlichen Diskurs stehen, wie Gendergerechtigkeit, Rassismus, das Klima und globale Gerechtigkeit spielen für sie eine große Rolle. Auch Postfaktizität interessiert die Studierenden brennend.

Damit kommen wir zurück zu den Verschwörungstheorien und den Gefährdungen der Demokratie. Damit beschäftigen Sie sich auch im Forum für Streitkultur, das Sie mit einem Kollegen gegründet haben.

Romy Jaster

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Ja, und zwar sowohl theoretisch als auch ganz praktisch. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forums forschen einerseits akademisch zu den Herausforderungen für den Diskurs, etwa zu Verschwörungstheorien, Rechtspopulismus oder „Hate Speech“ (Hassrede). Auf Basis dieser Erkenntnisse bieten wir Workshops dazu an, wie mit diesen Diskursherausforderungen umzugehen ist. Da geht es etwa um den Umgang mit Provokationen wie in Gesprächen mit Menschen, die Corona leugnen. Wir beraten aber auch Redaktionen, wie Diskussionsformate angelegt sein sollten, oder Kirchengemeinden, wie sie ihre Argumentationen führen können, wenn es wie in der Flüchtlingskrise von Seiten der Gemeindemitglieder viel Widerstand gibt.