Über Corona, Apps und Faxgeräte

Plus Icon Corona-Pandemie//Digitalisierung//

In der Pandemiebekämpfung spielen digitale Tools eine wichtige Rolle. Doch oft erwarten wir zu viel von der Technik, sagt Lorena Jaume-Palasí. Die Politikwissenschaftlerin und Digitalexpertin warnt auch vor der Vernachlässigung des Datenschutzes.

Über Corona, Apps und Faxgeräte
Überschätzen wir den Nutzen von Apps? | © Adobe Stock/kebox

Frau Jaume-Palasí, nutzen Sie noch regelmäßig die Corona-Warn-App?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Ja, ich finde, es ist eine sehr nützliche App. Sie liefert mir Updates zu den Corona-Zahlen und hilfreiche Statistiken, etwa zur Entwicklung der 3. Welle.

Vor einem Jahr waren die Erwartungen in diese App sehr hoch, sie sollte eine wichtige Rolle bei der Nachverfolgung von Corona-Erkrankungen spielen. Inzwischen herrscht der Eindruck vor, dass die App zwar die Daten der Nutzer*innen sehr gut schützt, aber eben auch nicht wirklich hilfreich in der Pandemiebekämpfung ist. Wie sehen Sie das?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Dazu kann ich nur sagen: Eine App ist eine App und kein Rundum-Sorglos-Paket der Pandemiebekämpfung oder wie es im Deutschen heißt: eine eierlegende Wollmilchsau.

Wie meinen Sie das?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Die Corona-Warn-App erfüllt sehr gut die Funktion, dass sie Lücken in der Kontaktverfolgung schließt. Nämlich da, wo ich in der Anonymität bin, etwa im Supermarkt oder im öffentlichen Nahverkehr. Und das tut sie auf eine Weise, die den Aufwand für die Nutzerinnen und Nutzer gering hält: Es ist leicht, diesen Akt der Solidarität zu erbringen und die App einzuschalten und Testergebnisse hochzuladen. Dadurch werden Begegnungen mit Menschen erkannt, die positiv getestet wurden. Das ist es, was die App kann und was sie auch sehr gut tut. Was sie nicht kann und was keine App kann, ist die Art und Weise der Übertragung zu erkennen.

Die Infrastruktur der Behörden ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt und Corona hat gezeigt, wie verletzlich eine Gesellschaft ist, die nicht in diese Infrastruktur investiert.Bild eines Anführungszeichens

Lorena Jaume-Palasí

Politikwissenschaftlerin

Welche Informationen müssten dafür erfasst werden?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Die Raumtemperatur, welche Tätigkeit die Menschen im Raum ausführen, also treiben sie Sport oder sitzen sie still? Relevant ist auch der Ort selbst: Hat er Fenster, sind die offen, wie groß sind sie, wie hoch sind die Wände, wie hoch ist die Luftfeuchtigkeit, gibt es bewegliche Objekte im Raum, sind Spuckwände installiert, … Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen dieser Art sind relevant, um die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung des Coronavirus einschätzen zu können. Und selbst, wenn man das wollen würde: Das kann keine App leisten. So eine App kann auch niemand derzeit bauen. Nicht mal eine Diktatur.

Immer wieder ist die Rede von Staaten wie Israel, Italien oder Südkorea, die auch mittels Datentransfer sehr schnell verwertbare Informationen zur Pandemieentwicklung hatten. Schneller als Deutschland. Hinken wir da wirklich hinterher?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Nein, denn es ist ein Irrglaube, dass bessere Technik dahintersteckt. In den asiatischen Ländern, wo die Nachverfolgung und Unterbrechung der Infektionsketten zum Teil besser gelungen ist als in Europa, liegt das an manuellen Verfahren. In Taiwan bedeutet Quarantäne 14 Tage Unterbringung in einem Quarantäne-Hotel. Das Handy wird genutzt, um zu kontrollieren, dass die Person das Hotel nicht verlässt. Das ist aber auch schon alles an Technik, was dafür eingesetzt wird. Der entscheidendere Faktor ist die staatliche Anordnung.

Also sind die Erwartungen an die Technik zu hoch?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Absolut. Das belegt nicht nur Corona. Beim großen Ebola-Ausbruch in Sierra Leone 2013 hat das MIT im US-amerikanischen Cambridge modelliert, wie die Verbreitung aussehen könnte. Die haben in kürzester Zeit ein Programm aus dem Boden gestampft – aber ohne auch nur einen Fuß nach Afrika zu setzen. Und genau deshalb haben die Modelle die Ansteckungswege nicht nachweisen können. Medizinische Anthropologinnen und Anthropologen, also Menschen und nicht Technik, haben schließlich die Übertragungswege aufgedeckt.

Welche waren das?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Die Forschenden, die vor Ort waren, haben beobachtet, dass die unheilbar Kranken und auch die Toten wieder zu ihren Familien gebracht wurden. Dabei passierte die Ansteckung. Die Konsequenz war, dass Familien ihre Toten nicht mehr selbst beerdigen und ihre Kranken nicht pflegen durften. Eine harte Entscheidung, aber eine, die die Epidemie eingeschränkt hat. Elektronisch erhobene Daten haben dabei nicht geholfen.
Lorena Jaume-Palasí über falsche Erwartungen der Menschen an technische Hilfsmittel
Lorena Jaume-Palasí über falsche Erwartungen der Menschen an technische Hilfsmittel. | © Steffen Leidel/Deutsche Welle

Über Lorena Jaume-Palasí

Pfeil

Lorena Jaume-Palasí ist Politikwissenschaftlerin und forscht zur Ethik der Digitalisierung und Automatisierung. Sie ist Gründerin der „The Ethical Tech Society“, einer gemeinnützigen Organisation, die Technologie auf ihre gesellschaftliche Relevanz hin untersucht. Für die spanische Regierung sitzt Lorena Jaume-Palasi im Weisenrat zu Künstlicher Intelligenz und Datenpolitik. 2018 wurde die Wissenschaftlerin für ihre Initiative „AlgorithmWatch“ mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.

Was schließen Sie daraus?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Es gibt immer noch die Erwartungshaltung, dass Maschinen Menschen ersetzen können, das ist ein Irrglaube.

Die Pandemie hat Defizite in der digitalen Infrastruktur der Behörden offengelegt. Jetzt wird schnell nachgerüstet. Ist das der richtige Weg?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Die Infrastruktur der Behörden ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt und Corona hat gezeigt, wie verletzlich eine Gesellschaft ist, die nicht in diese Infrastruktur investiert. Und damit meine ich nicht nur die Digitalisierung. Auch Personalmangel gehört dazu, die Schulung der Mitarbeitenden, die Software und Hardware.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Anfang des Jahres stolz verkündet, das nun in den Gesundheitsämtern für die Weitergabe der Corona-Zahlen keine Faxe mehr verwendet werden. Vielerorts wurde eine neue Software installiert.

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Ich denke, es ist ein Fehler, das jetzt anzugehen. Die sinnvolle Installation neuer Prozesse, auch neuer Software, braucht viel Zeit. Eben weil das Personal geschult werden muss, weil neue Workflows etabliert werden müssen. Im Moment geht diese Zeit von der Arbeitszeit ab, die so dringend für die Kontaktnachverfolgung gebraucht wird.

Also hätte man die Faxe noch stehen lassen sollen?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Ehrlich gesagt: Ja, vielleicht schon. Vor allem hätte man die Beschäftigten in den Gesundheitsämtern fragen müssen: Was braucht ihr jetzt? Das sind vielleicht mehr Personal oder mehr Faxgeräte. Wenn der Workflow eingespielt ist, dann sollte er nicht mitten in der Krise verändert werden. Erst nach Bewältigung der Pandemie ist der richtige Zeitpunkt für ein Neuaufstellen der kritischen Infrastruktur.

Es gibt immer noch die Erwartungshaltung, dass Maschinen Menschen ersetzen können, das ist ein Irrglaube.Bild eines Anführungszeichens

Lorena Jaume-Palasí

Politikwissenschaftlerin

Es kam immer wieder zu Pannen beim Datenschutz, zum Beispiel wurden Daten von Corona-Testzentren öffentlich.

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Keine Software ist perfekt, Probleme können immer wieder auftreten. Meist haben sie damit zu tun, wie Menschen mit der Software umgehen. Da werden Hacks verwendet, Wege umgangen, verkürzt, all das macht die Software anfälliger. Das lässt sich vermeiden, wenn vor der Anwendung ordentlich getestet und auch die Datenschutzbeauftragten miteinbezogen werden. Doch bei Corona wurden viele gängige Verfahren außer Kraft gesetzt, Ausschreibungen technischer Anbieter verkürzt etc.

Das Argument dafür ist ja, dass dem Virus schnell Einhalt geboten werden muss, und man deshalb auf manche Formalität verzichten muss zugunsten des Gesundheitsschutzes.

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Ein Notarzt stürzt sich doch auch nicht auf den Verletzten, ohne ihn richtig untersucht und sorgfältig die Behandlungsmethode erwogen zu haben. Diese Zeit braucht es auch für den Datenschutz und die Überprüfung der Sicherheit von Software, die vom Staat eingesetzt wird. Es geht immerhin um kritische Daten.

Was meinen Sie zum Beispiel?

Lorena Jaume-Palasí

Plus-Symbol
Etwa mit der Luca-App können sensible Bewegungsdaten von Menschen erhoben werden: über religiöse Zusammenkünfte, darüber, ob Menschen bei einem Strafgericht waren, im Therapiezentrum oder in einer Kinderwunschpraxis. Hier hätten die Diskriminierungsbeauftragten einbezogen werden müssen. Es gibt historisch gute Gründe, warum wir solche Daten bisher nicht sammeln und die Identität und Bewegungen der Menschen schützen.