23. Oktober 2020

US-Wahlkampf 2020: „Das System bleibt stabil“

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Nur noch wenige Wochen bis zur US-Präsidentschaftswahl: Sudha David-Wilp, stellvertretende Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Fund of the United States, über den Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen, Herausforderungen für die Demokratie und mögliche Szenarien für den Wahlausgang.

US-Wahlkampf 2020
Trump oder Biden? In wenigen Wochen wird sich entscheiden, wer der neue Präsident der USA sein wird. | © 3desc – stock.adobe.com

Frau David-Wilp, wie würden Sie den Zustand der Demokratie in den USA derzeit beschreiben?

Sudha David-Wilp

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Das System der liberalen Demokratie steht in den USA ebenso auf dem Prüfstand wie in europäischen Ländern. Die negativen Auswirkungen der Globalisierung und Automatisierung, der Desinformation in sozialen Netzwerken und schwindendes Vertrauen in Institutionen haben zur Entwicklung autoritärer Systeme überall auf der Welt beigetragen. Wir beobachten eine Geringschätzung, eine Missachtung von Gesetzen und die Herabsetzung von Minderheiten in unseren Gesellschaften. Die Demokratie erleidet in den USA viele Tiefschläge, aber das System bleibt stabil. Die Opposition und die Presse gedeihen, in der Regierung funktionieren immer noch Checks and Balances, also die Gewaltenteilung, und in einigen Wochen werden die Menschen in den USA ihr Wahlrecht ausüben, das es nur in einer Demokratie gibt.

Wie nehmen Sie die Stimmung gegenüber den USA in Deutschland gerade wahr? Welchen Einfluss hat die Präsidentschaft von Donald Trump auf diese Stimmung?

Sudha David-Wilp

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In den deutsch-amerikanischen Beziehungen gab es schon immer Hoch- und Tiefpunkte. Im Vorfeld des Irakkrieges waren die Deutschen den USA gegenüber negativ eingestellt, und selbst während der Obama-Regierung erlebte die Partnerschaft mit den Snowden-Enthüllungen eine schwierige Phase. Ich denke, es fühlt sich diesmal anders an, weil Präsident Trump Deutschland und Bundeskanzlerin Merkel offen kritisiert hat und zum ersten Mal ein US-Präsident die Europäische Union eher als „Feind“ anstatt als Verbündeten betrachtet. Eine langjährige Ansicht in Washington ist, dass ein stabiles Europa gut für Amerika ist. Leider betrachtet Präsident Trump die EU mit großer Skepsis. Es ist daher nicht verwunderlich, dass laut dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research nur 26 Prozent der Deutschen die USA positiv beurteilen. Es ist jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Vereinigten Staaten nicht nur Präsident Trump sind. Ich bin sicher, die historisch gewachsenen Bindungen werden zusammen mit den aktuellen geschäftlichen und kulturellen Verbindungen diese Partnerschaft fortführen. Wir müssen jedoch daran arbeiten.

Es ist besorgniserregend zu sehen, dass Präsident Trump die Integrität unseres Abstimmungssystems infragestellt.Bild eines Anführungszeichens

Sudha David-Wilp

Stellvertretende Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Fund of the United States

Warum hat Donald Trump außerhalb der USA so wenige „Fans“, während der Ausgang der Wahl in den USA noch völlig offen ist?

Sudha David-Wilp

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Man muss zwischen der Meinung der Bevölkerung und politischen Entscheidungs-träger*innen bzw. Regierungsvertreter*innen unterscheiden. Umfragen zeigen, dass die US-Soft Power, d. h. die Anziehungskraft und Vorbildfunktion des Landes, in den letzten vier Jahren geschwächt wurde. Eine „America First“-Politik gewinnt wahrscheinlich nicht die ganze Welt für sich. Aber die meisten Regierungsbeamten in Berlin, mit denen ich in Kontakt stehe, wissen, dass Deutschland in verschiedenen Fragen mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten muss. Bundesaußenminister Heiko Maas sagte kürzlich, er hoffe auf ein besseres Verhältnis, unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt.

Wer sich zur Wahl stellt, riskiert, zu verlieren. Was bedeutet es, wenn ein Präsidentschaftskandidat andeutet, eine Niederlage unter Umständen nicht anzuerkennen? Was für ein Signal geht daraus für andere Wahlen hervor?

Sudha David-Wilp

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Demokratien sind auf die friedliche Machtübertragung angewiesen, und es liegt in der Verantwortung der Beamten, diese Norm einzuhalten. Die Mehrheit der gewählten Beamten würde die Ergebnisse einer Wahl unabhängig von der Parteizugehörigkeit würdigen. Es ist besorgniserregend zu sehen, dass Präsident Trump die Integrität unseres Abstimmungssystems infragestellt. Sicher, es gibt Schwächen, insbesondere Fälle von Wählerunterdrückung, und Fehler, aber unser System ist solide und die Wählerinnen und Wähler sollten nicht dazu gebracht werden, anders zu denken.

Wie, denken Sie, wird diese Wahl ausgehen? Welche Szenarien können Sie sich vorstellen?

Sudha David-Wilp

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Nach dem Brexit und der Wahl von Präsident Trump im Jahr 2016 mache ich keine Vorhersagen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir am 4. November aufgrund der Briefwahl in diesem Jahr nicht alle Ergebnisse haben werden. Wenn wir frühzeitig die Ergebnisse aus Florida oder Ohio haben und Trump in einem dieser Staaten nicht gewinnt, ist sein Weg zur Wiederwahl unwahrscheinlich.

Was lässt sich aus der Präsidentschaft von Donald Trump für die Demokratie in den USA lernen?

Sudha David-Wilp

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Wachsende Probleme, die von Einkommensungleichheit über Rassismus bis hin zu Polarisierung reichen, wurden in den letzten vier Jahren drastisch offengelegt, obwohl sie alle schon vor der Wahl von Donald Trump bestanden haben. Die Pandemie hat gezeigt, dass die USA einen Wendepunkt erreicht haben und dass im eigenen Land Änderungen vorgenommen werden müssen, damit der amerikanische Traum aufrechterhalten werden kann.
Portrait Sudha David-Wilp
Sudha David-Wilp ist besorgt über das Verhalten von Präsident Trump im US-Wahlkampf. | © German Marshall Fund

Über Sudha David-Wilp

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Sudha David-Wilp ist stellvertretende Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Fund of the United States (GMF) und Expertin für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Der German Marshall Fund ist eine unabhängige, überparteiliche Stiftung, die die Förderung der transatlantischen Beziehungen zum Ziel hat. Sitz ist in Washington D.C., die Stiftung unterhält Niederlassungen in vielen europäischen Hauptstädten. Der GMF beruht auf einer Schenkung der Bundesrepublik Deutschland, als Dank und Erinnerung für die Unterstützung der USA beim Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg durch den sogenannten Marshallplan.