15. Mai 2025

„Wir müssen jetzt dranbleiben!“

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Immer häufiger sehen sich Kommunalpolitiker*innen Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt – oft, ohne auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Auch Co-Gründer Niels Fischer vom Verein „Starke Demokratie“ hat diesen Missstand erkannt. Seit 2019 engagiert er sich gemeinsam mit zahlreichen Unterstützer*innen dafür, Kommunalpolitiker*innen zu sensibilisieren und zu stärken. Dabei wird der Verein von der Nemetschek Stiftung unterstützt.

Mit innovativen Bildungs- und Beteiligungsformaten stärkt der Verein „Starke Demokratie“ kommunalpolitisch Aktive gegen Anfeindungen, Hass und Gewalt. © Jann Wilken

Herr Fischer, können Sie einen kurzen Überblick über die Gründungsgeschichte von Starke Demokratie e.V. geben? Welche gesellschaftlichen Entwicklungen haben zur Initiative geführt?

Niels Fischer

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Der Verein Starke Demokratie wurde 2019 ins Leben gerufen – ursprünglich als private Initiative im Freundeskreis. Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Rechtsextremen entstand in der Gruppe eine intensive Diskussion über gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dabei fiel schnell auf, wie wenig Unterstützung und Informationen gerade die Kommunalpolitik im Vergleich zu Landes- oder Bundesebene bekommt. Genau hier wollten wir ansetzen und beschlossen, mit einem eigenen Verein diese Lücke zu schließen und Kommunalpolitiker*innen gezielt zu stärken.

Mit welchen Herausforderungen sehen sich Kommunalpolitiker*innen konfrontiert?

Niels Fischer

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Die Situation für Kommunalpolitiker*innen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Seit 2015, beginnend mit der großen Fluchtbewegung und dem gesellschaftlichen Wandel, erleben wir vermehrt Angriffe auf Personen, die als Teil des politischen Establishments wahrgenommen werden. Während es früher nur vereinzelt Anfeindungen gab, sind diese heute sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Intensität, etwa durch Morddrohungen, massiv. Gerade auf kommunaler Ebene herrschte anfangs wenig Bewusstsein für diese neuen Herausforderungen. Viele hatten keine Vorstellung davon, wie solche Angriffe ablaufen oder welche Folgen sie haben können. Unser Verein hat dazu beigetragen, das Problembewusstsein zu schaffen und erste Ansprechpartner*innen sowie Unterstützungsangebote für Betroffene zu etablieren. Mittlerweile hat sich eine starke Unterstützerszene gebildet, die die Bedeutung der Kommunalpolitik für unsere Demokratie erkannt hat. Diesen Wandel aktiv mitzugestalten und Kommunalpolitiker*innen zu stärken, ist angesichts der aktuellen Herausforderungen nach wie vor zentral für unsere Arbeit.

Die nächsten Jahre sind entscheidend – wir müssen jetzt dranbleiben, um unsere Demokratie lebendig zu halten!Bild eines Anführungszeichens

Niels Fischer

Co-Gründer Starke Demokratie e.V.

Wie hat sich das Klima in den vergangenen Jahren verändert? Lässt kommunalpolitisches (ehrenamtliches) Engagement spürbar nach auf Grund zunehmender Anfeindungen und Gewalt?

Niels Fischer

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Dazu gibt es nach meiner Kenntnis keine spezifischen Studien, aber Berichte, beispielsweise auch nach Kommunalwahlen deuten darauf hin, dass es immer schwerer wird, Menschen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Besonders auf dem Land scheint das schwieriger zu sein als in der Stadt. Das hängt mit vielen Faktoren zusammen: Wie mobil sind junge Menschen heute? Wie stark fühlen sie sich noch mit ihrem Wohnort verbunden? Und was ist ihnen wichtiger – Familie, Beruf oder das kommunale Engagement? Ein weiterer Punkt ist das politische Klima. Viele erfahrene Kommunalpolitiker*innen berichten, dass sich der Ton stark verschärft hat. Die politische Debatte ist rauer geworden, die Polarisierung – gerade zwischen rechts und links – nimmt zu. In manchen Stadt- und Gemeinderäten gibt es sogar offene Anfeindungen unter den Fraktionen, wo eigentlich Zusammenarbeit gefragt wäre. Und das kann natürlich abschreckend wirken. Es spricht einiges dafür, dass dieses raue Umfeld mitverantwortlich dafür ist, dass sich weniger Menschen engagieren. Deshalb starten wir gerade den Dialog mit jungen Kommunalpolitiker*innen, um herauszufinden, wie stark diese Stimmung wirklich auf die Entscheidung für oder gegen politisches Engagement wirkt.

Wie können politisch Engagierte gegen Anfeindungen und Gewalt gestärkt werden?

Niels Fischer

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Es gibt zwei Wege, wie Menschen besser gegen Anfeindungen und Gewalt geschützt werden können. Der erste ist der sogenannte kurative Ansatz – der kommt zum Einsatz, nachdem etwas passiert ist. Da geht es dann darum, den Betroffenen zu helfen – durch psychische Unterstützung oder rechtliche Beratung. Hierfür gibt es schon viele Stellen, an die sich Betroffene wenden können. Der zweite Weg ist der präventive Ansatz – also Vorbeugung. Hier ist das Feld schon etwas weniger stark besetzt – eine Lücke, die wir schließen wollten. Wir haben uns dazu entschlossen, die Prävention gezielt bei den betroffenen Kommunalpolitiker*innen anzusetzen. Ziel ist es, sie zu informieren, zu sensibilisieren und zu motivieren, damit sie ihre eigene Widerstandsfähigkeit gegen Anfeindungen und Gewalt stärken. Das ist vor allem auch deshalb wichtig, um zwei zentrale Dinge zu verhindern: dass sich Betroffene nicht mehr trauen, ihre politische Meinung klar zu äußern oder aus Angst um sich oder ihre Familie gar nicht mehr kandidieren. Deshalb setzen wir darauf, die Resilienz von Kommunalpolitiker*innen zu fördern und sie gezielt zu stärken.

Wie genau sieht diese präventive Arbeit aus?

Niels Fischer

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Ein großer Teil unseres Angebots besteht aus Informationen. Wir haben zum Beispiel eine neu gestaltete Website, auf der man sich einen ersten Überblick unter anderem über juristische Fragen verschaffen kann und erfährt, wo Unterstützung angeboten wird. Zusätzlich haben wir einen regelmäßigen Newsletter, eine Podcast-Reihe und sind auch bei Veranstaltungen präsent – damit informieren wir sowohl die Gesellschaft als auch die Politiker*innen. Gerade für letztere wollen wir einen Anstoß geben, sich intensiver mit dem Thema zu befassen und in die Prävention einzusteigen. Wenn sie sich dafür entscheiden, gibt’s konkrete Angebote: von Workshops über Trainings bis hin zum Einzelcoaching. Wir starten meist mit einem Sensibilisierungsworkshop, der über das Thema informiert und erste Hilfestellung gibt. Danach folgen weiterführende Angebote wie Trainings zur Entwicklung von Resilienz oder zur Verbesserung der Diskussionskultur in politischen Gremien.

Die Situation für Kommunalpolitiker*innen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft.Bild eines Anführungszeichens

Niels Fischer

Co-Gründer Starke Demokratie e.V.

Und wie kann die Zivilgesellschaft gestärkt werden?

Niels Fischer

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Aus meiner Sicht braucht es vor allem mehr Beteiligungsmöglichkeiten, bei denen Menschen feststellen: sie können mitgestalten. Das können politische Aktivitäten sein, aber auch Engagement im Sportverein, in Nachbarschaftsprojekten oder beim Seniorenbeirat – Hauptsache, es bringt Menschen zusammen. Denn viele fühlen sich heute isoliert, hängen im Netz oder in sozialen Medien, und echte Auseinandersetzungen und Diskussionen finden kaum noch statt. Außerdem darf unsere Demokratie heute nicht mehr als selbstverständlich gesehen werden – darum ist es umso wichtiger, dass Parteien der demokratischen Mitte das Thema Demokratieförderung ernst nehmen. Inzwischen steht das auch in vielen Wahlprogrammen und Koalitionsverträgen, was früher nicht der Fall war. Zudem ist Bildung ein wichtiger Faktor: Schon in Schulen und Hochschulen sollte vermittelt werden, was Demokratie bedeutet und wie man sich einbringen kann. Zum Beispiel mit Workshops für Jugendliche, bei denen sie erfahren, was Kommunalpolitik ist und wo sie diese betrifft. Und: Auch wenn es schwerfällt, sollten wir nicht aufhören, im eigenen Umfeld – beim Familienessen oder mit Bekannten – das Gespräch zu suchen, selbst wenn es frustrierend ist. Nicht alle sind verloren, und oft braucht es mehrere Stimmen, bis ein Gedanke hängen bleibt. Die nächsten Jahre sind entscheidend – wir müssen jetzt dranbleiben, um unsere Demokratie lebendig zu halten!

Sie arbeiten mit anderen kommunalpolitischen Initiativen und Parteien zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Niels Fischer

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Wir arbeiten mit Organisationen zusammen, die Zugang zu Kommunalpolitiker*innen haben. Zum Beispiel mit parteinahen Stiftungen – die sind oft auch für das Thema Aus- und Weiterbildung in den Parteien zuständig und haben schon passende Angebote, auch speziell für die Kommunalpolitik. Gemeinsam organisieren wir Veranstaltungen, nutzen ihre Netzwerke und Daten, um die Zielgruppen direkt zu erreichen. Außerdem arbeiten wir mit den kommunalpolitischen Vereinigungen der Parteien, der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung sowie mit neuen Initiativen wie „Stark im Amt“ zusammen. Zusätzlich vernetzen wir uns mit NGOs, die meist eher auf die Nachsorge (also kurativ) setzen – da ergänzen wir uns ganz gut.

Wie wichtig sind Förderpartner*innen für die Arbeit des Vereins und wo unterstützt die Förderung der Nemetschek Stiftung im Speziellen?

Niels Fischer

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Unser Verein arbeitet grundsätzlich auf ehrenamtlicher Basis, und das wollen wir auch beibehalten. Wir machen damit der Zivilgesellschaft ein Engagementangebot. Allerdings hat das Ehrenamt auch seine Grenzen, weil es oft weniger planbar ist. Gerade junge Leute engagieren sich bei uns, worüber wir sehr froh sind, aber natürlich kommt es vor, dass sie für ein Studium wegziehen, Prüfungsphasen haben oder für ein Semester ins Ausland gehen. Das führt dazu, dass manche Aufgaben nicht durchgehend zuverlässig erledigt werden können. Deshalb haben wir uns entschieden, hauptamtliche Unterstützung einzuführen. Wir haben im Jahr 2022 die erste hauptamtliche Kraft eingestellt, was sich als echter Gewinn herausgestellt hat. Die Arbeit ist deutlich verlässlicher und strukturierter geworden. Wir konnten mehr Veranstaltungen anbieten, flexibler auf Termine reagieren und auch an Konzepten und Ideen viel gezielter arbeiten. Mittlerweile haben wir zwei Teilzeitstellen in der Geschäftsstelle. Der Großteil der Arbeit dort ist konzeptionell, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsorganisation. Hier unterstützen uns die Fördermittel enorm! 2024 haben wir zum Beispiel viel mehr Menschen mit unseren Angeboten erreicht als im Vorjahr. Das erfüllt uns mit Stolz und Freude und wäre ohne finanzielle Unterstützung kaum möglich gewesen.
© Tim Oehler

Über Starke Demokratie e.V.

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Der Verein Starke Demokratie engagiert sich bundesweit für den Schutz von Kommunalpolitiker*innen. Mit Workshops, Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen setzt sich der Verein aktiv gegen Anfeindungen, Hass- und Gewalttaten gegen kommunalpolitisch Aktive ein und leistet wertvolle Präventionsarbeit.

Mehr Infos über den Verein gibt’s hier.