15. Januar 2021

Wie digital wird das Superwahljahr 2021?

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Hybrider Wahlkampf im Altenheim und weniger Chancen für Populist*innen: Politikberater und Blogger Martin Fuchs blickt positiv auf dieses Jahr, in dem ein neuer deutscher Bundestag gewählt wird und auch in Ländern und Kommunen viele Urnengänge anstehen.

Vorhang zu und Kreuzchen machen: Am Wählen selbst ändert sich nicht so viel. Vielleicht wird es 2021 mehr Abstand zwischen den Wahlkabinen geben. Ganz sicher wird der Wahlkampf im Vorfeld digitaler als früher. | ©iStock/bizoo_n

Herr Fuchs, deutschlandweit stehen 2021 neun Wahlen an, die ersten schon im März. Wird es noch eine andere Messlatte als den Umgang mit der Corona-Pandemie geben?

Martin Fuchs

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Ich denke, dass auch die Klimadebatte einen ganz entscheidenden Anteil an der Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler haben wird. Aber selbstverständlich wird mit Blick auf die Wahlen auch die Corona-Krise von großer Bedeutung sein und die Frage, wie Bund und Länder die Krise bis zum jeweiligen Wahltag bewältigt haben.

Politikwissenschaftler*innen gehen davon aus, dass bei Wahlen in Krisenzeiten Amtsinhaber*innen einen Vorteil haben, weil sie sich als Macher*innen beweisen können. Gilt das auch diesmal?

Martin Fuchs

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Pauschal kann man sagen, ja das gilt, keine Frage. Gerade jetzt, wo auch parlamentarische und demokratische Rechte ausgehebelt wurden, fällt es den Regierenden leichter, sich zu präsentieren. Die Maßnahmenpakete zur Bewältigung der Pandemie werden federführend von der Exekutive – zum Beispiel von der Ministerpräsidentenkonferenz – verhandelt und beschlossen, die Diskussion darüber kam in den Parlamenten oftmals zu kurz. Der Blick liegt jetzt noch stärker auf der Arbeit der Regierungen, die Opposition hat es dadurch noch viel schwerer, mit ihren Positionen in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Das kann allerdings auch ein Nachteil sein: Wenn der Eindruck entsteht, man habe die Krise eben nicht im Griff. So schneidet beispielsweise NRW-Ministerpräsident Armin Laschet derzeit in Umfragen schlecht ab, weil viele Bürger*innen mit seiner Corona-Politik unzufrieden sind.

Nach vier, fünf Jahren, in denen Populist*innen sehr starken Zuspruch erfahren haben, merken die Menschen, dass sie keine Lösungen anzubieten haben.Bild eines Anführungszeichens

Martin Fuchs

Politikberater und Blogger

Mit Blick auf die Querdenker-Demos: Rechnen Sie bei den kommenden Wahlen mit erhöhtem Zuspruch für die AfD und andere rechte und nationalistische Parteien?

Martin Fuchs

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Eher nicht. Zwar wird sehr intensiv öffentlich berichtet und gesellschaftlich diskutiert, was Querdenker*innen von sich geben und die AfD versucht, in diesem Umfeld zu werben und massiv das Mobilisierungspotenzial zu nutzen. Aber wenn wir uns Umfragen und Prognosen anschauen, dann ist eine Art Backlash bei Populist*innen zu beobachten. Das bedeutet: Nach vier, fünf Jahren, in denen Populist*innen sehr starken Zuspruch erfahren haben, merken die Menschen, dass sie keine Lösungen anzubieten haben. Und gerade in der Pandemie brauchen wir Lösungen. Da genügt es eben nicht, Kritik zu üben oder alles schlecht zu reden. Hier haben klar die handelnden Personen einen Vorteil und Populist*innen und rechte Agitator*innen das Nachsehen.

Die Pandemie verändert auch den Wahlkampf und die Parteiarbeit. Es gab bereits rein digitale Parteitage, die CDU wählt ihren Vorsitzenden in einer Mischung aus digitaler Vorstellung und Briefwahl. Wie verändert die notgedrungene Digitalisierung die Wahlkämpfe insgesamt?

Martin Fuchs

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Ich würde sagen: massiv. Vor allem die ganze Wahlkampforganisation fällt viel, viel digitaler aus. Also das, was im Hintergrund läuft, was wir Wähler*innen erstmal gar nicht so sehen. Die Vernetzung der Wahlkämpfer*innen untereinander, der Austausch von Informationen und Daten, das wird 2021 alles digital laufen. Nichtsdestotrotz werden analoge Anteile im Wahlkampf durchaus sichtbar sein: Wir werden Plakate sehen, wir werden Ansprachen besuchen, wenn auch anders organisiert als bisher. Bemerkenswert ist, dass bei allen vorangegangenen Bundestagswahlkämpfen auch schon gesagt wurde: Das ist der digitalste Wahlkampf aller Zeiten. Ich denke, das wird diesmal getoppt, allerdings eben nicht nur in der Außendarstellung.

Gerade Parteitage waren früher eine hochemotionale Angelegenheit. Es gab in der Vergangenheit Farbbeutel-Würfe, Standing Ovations und Tränen. Beim digitalen Grünen-Parteitag 2020 ist schon aufgefallen, dass es Redner*innen ohne „echtes“ Publikum schwerer haben, zu begeistern. Kann dieser Nachteil ausgeglichen werden?

Martin Fuchs

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Aktuell noch nicht. Wir stecken gerade mitten in einem Kulturwandel. Damit diese Stimmung von früher übertragbar ist, müssen wir erst noch lernen, auch digital Zuspruch und Beifall zu spenden. Das hat auch einen technischen Aspekt. Es gibt erste Tools und Versuche in dieser Richtung, aber ich glaube nicht, dass wir schon in diesem Jahr viel zu erwarten haben.

2021 – ein Superwahljahr

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Bei einer demokratischen Wahl können Bürgerinnen und Bürger Einfluss auf die Geschicke ihres Landes nehmen. 2021 gibt es dazu reichlich Gelegenheit: Am 14. März sind in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Landtagswahlen, in Hessen Kommunalwahlen. Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Am 12. September stehen Kommunalwahlen in Niedersachsen an. Der 26. September ist der Tag der Bundestagswahl, Berliner*innen wählen außerdem ihr Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlung. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sind am gleichen Tag Landtagswahlen.

Es gibt also viele Anlässe für Politikerinnen und Politiker, um die Gunst der Wählerschaft zu werben. Obwohl der Wahlkampf in diesem Jahr pandemiebedingt tüchtig auf den Kopf gestellt werden dürfte. Kontaktverbote und Abstandsregeln bewirken eine Verlagerung ins Digitale. Aktive Politikerinnen und Politiker sind derzeit als Krisenmanager*innen einem dauernden Stresstest ausgesetzt – und das im Rampenlicht. Währenddessen buhlen rechte Agitator*innen um Menschen, die mit den Anti-Corona-Maßnahmen der Politik unzufrieden sind. Außerdem wird es nach vier Legislaturperioden erstmals einen neuen Bundeskanzler oder eine neue Bundeskanzlerin geben. Das heißt also: Das Wahljahr 2021 birgt eine Reihe von Besonderheiten und Herausforderungen, die es in der Geschichte unserer Demokratie zu einem Wegweisenden machen. Uns ist das eine eigene Wahl-Serie im Blog der Nemetschek Stiftung wert – mit Interviews und Berichten zu vielen Facetten im Superwahljahr 2021.

Halten Sie digitale Wahlkämpfe auch in der Zukunft, in Zeiten ohne Pandemie für wahrscheinlich?

Martin Fuchs

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Für die Zukunft rechne ich mit Hybridformaten. Das Analoge wird nicht verschwinden, eben weil nicht alles ins Digitale übertragbar ist.

Finden Sie es problematisch, wenn uns in diesem Jahr womöglich ein Teil dieser emotionalen Komponente des Wahlkampfes entgeht? Wenn Emotionen – etwa Begeisterung – nicht in dem Ausmaß geweckt werden können, wie es früher der Fall war?

Martin Fuchs

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Ich würde nicht sagen, dass das ein Problem ist. Es gab schon immer bessere und schlechtere Redner*innen. Manche, die auf der Bühne besser wirken als im Digitalformat, merken jetzt eben mal, wie es den anderen früher immer ging. Emotion ist ein wichtiges Stil- und Transportmittel für Informationen. Aber eine gute, stringent durchstrukturierte Rede kann dasselbe leisten, ohne dass ein emotionaler Funke überspringen muss.

Kandidat*innen, die klingelnd von Haustür zu Haustür ziehen oder jeden Samstag auf Marktplätzen stehen, kann man sich derzeit nicht so recht vorstellen. Wie können Politiker*innen den Kontakt zu den Wähler*innen aufrechterhalten?

Martin Fuchs

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Ich denke, gerade Internet und Social Media bieten bessere Möglichkeiten, Menschen direkt zu erreichen, als der Haustürwahlkampf. Zwar ist belegt, dass die beste Beziehung hergestellt wird und ich am erfolgreichsten mobilisiere, wenn ich als Kandidat*in Menschen überrasche und bei ihnen plötzlich auf der Matte stehe. Aber gerade mit wenig Zeit und wenig Ressourcen ist das Internet von Vorteil, weil mehr Menschen aus der eigenen Zielgruppe in kürzerer Zeit erreicht werden können.

Welche Möglichkeiten sehen Sie da?

Martin Fuchs

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Digitale Sprechstunden, digitales Anklopfen bei Profilen im eigenen Wahlkreis, Aktivitäten in Gruppen, in denen sich tausende Menschen zu Themen aus meinem Wahlkreis austauschen…. Mit solchen Aktionen erreicht man viel, viel mehr Leute und viel, viel besser, als wenn man hofft, dass jemand am Supermarktstand stehen bleiben, um sich dort Kondome oder Kugelschreiber abzuholen.

Gerade Internet und Social Media bieten bessere Möglichkeiten, Menschen direkt zu erreichen, als der Haustürwahlkampf.Bild eines Anführungszeichens

Martin Fuchs

Politikberater und Blogger

Vieles lässt sich ins Netz verlagern, aber besteht dabei nicht die Gefahr, dass einige Menschen einfach nicht erreicht werden, weil sich weniger internetaffine Bürger*innen schlechter informieren können, oder schlicht das Interesse verlieren?

Martin Fuchs

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Es gibt natürlich den digitalen Graben, der sich durch unsere Gesellschaft zieht. Das betrifft vor allem ältere Menschen. Aber gerade die vergangenen Monate haben gezeigt, dass viele Bereiche digital aufgeholt haben. Es gibt Altenpflegeheime, die während der Pandemie mit Tablets versorgt wurden, auf Initiative von Landesregierungen, Krankenkassen und Unternehmen. Immer mehr Menschen werden durch Angebote digitaler Bildung erreicht und immer mehr nutzen digitale Tools. Dabei wird es auch weiterhin diese drei bis fünf Prozent geben, die digitale Möglichkeiten ablehnen, diese Menschen bleiben unerreichbar. Aber ich denke schon, dass die breite Masse auch vor den Wahlen 2021 sehr gut ansprechbar sein wird und die allermeisten gut und ausreichend informiert sein werden. Da wird es auch Hybridformate geben: Politiker*innen, die – unter Einhaltung von Hygieneregeln –Altenheime besuchen und von der Lobby aus Fragen beantworten, die die Bewohner*innen per Tablet stellen.

Wir groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass der Einfluss von Populist*innen und Extremist*innen wächst, wenn sich Wahlkämpfe stärker ins Netz verlagern?

Martin Fuchs

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Populist*innen haben es bisher immer sehr gut verstanden, Internet, Social Media und neue digitale Tools zu nutzen. Mittlerweile haben aber auch viele demokratische Akteur*innen verstanden, wie Populist*innen das Netz nutzen und wie sie selbst darauf reagieren können. Auch die Nutzer*innen haben dazugelernt und durchschauen Taktiken von Populist*innen und Extremist*innen besser. Das heißt also, wir sind als Gesellschaft in dieser Hinsicht deutlich weiter als vor vier Jahren. Zur Frage: Ja, es wird sicherlich der Versuch unternommen werden, Einfluss zu nehmen, aber wir sind geschult, kompetenter damit umzugehen.

Sollten zum Beispiel die Öffentlich-Rechtlichen mit einem erweiterten (digitalen) Programm zur Wahl auf die Einschränkungen durch die Pandemie reagieren?

Martin Fuchs

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In den USA haben wir gesehen, wie relevant Medien als Treiber und Vermittler im Netz sind. Da war die Berichterstattung oft wichtiger als der Ursprungs-Tweet des Präsidenten. Ich wäre sehr dafür, dass Medien mehr verstehen und auch besser vermitteln, wie man mit Populismus umgeht. Und ein digitales Programm der öffentlich-rechtlichen Sender wäre ein guter Schritt. Wobei die auch wirklich schon viel machen. Eine Aufstockung des Programms würde ich aber durchaus begrüßen.

Also sind wir als Gesellschaft eigentlich ganz gut aufgestellt, um die Wahlkämpfe, die Vorbereitung der Wahlen und die Information darüber gut und demokratisch zu bewältigen?

Martin Fuchs

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Ja, das denke ich. Sicher gibt es an einigen Stellen Nachholbedarf. Aber vieles wird öffentlich auch negativer betrachtet, als es ist. Ich glaube zum Beispiel, dass die populistischen Parteien bei den anstehenden Wahlen nicht den großen Einfluss haben werden, wie wir es mal befürchtet haben. Ich bin wirklich relativ guten Mutes, dass wir das 2021 gut hinbekommen werden.
Portrait: Martin Fuchs zum Superwahljahr 2021
Mehr Digitalisierung im Wahlkampf schadet nicht, sondern hat viele Vorteile, sagt Politikberater und Blogger Martin Fuchs. | © privat

Über Martin Fuchs

Pfeil

Der Politikberater und Blogger begeistert sich nicht nur für demokratische Prozesse, sondern auch für digitale Kommunikation. In Thüringen geboren, lebt Martin Fuchs nach Stationen in Brüssel und Berlin mittlerweile in Hamburg, wo er unter hamburger-wahlbeobachter.de über Social Media in der Politik bloggt. Regierungen, Parlamente und Parteien schätzen seine Expertise, wenn es um digitale Kommunikation von politischen Akteuren geht.