18. März 2021

Warum Integrationsdebatten Frank Joung müde machen

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Podcaster Frank Joung lässt Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln zu Wort kommen. Sie berichten über rassistische Erfahrungen im Alltag, über derbe „Scherze“ und die subtile deutsche Form der Mikro-Aggressivität nichtweißen Menschen gegenüber.

Warum Integrationsdebatten Frank Joung müde machen
Viele Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln erleben eine Form von Mikro-Aggressivität im Alltag. | ©iStock/DisobeyArt

Frank Joung, was ist eine „Halbe Katoffl“? Sind Sie eine?

Frank Joung

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„Halbe Katoffl“ ist eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nicht deutschen Wurzeln haben. Wir sprechen über unsere Erfahrungen. Wie es ist, zwischen den Stühlen zu sitzen, aber auch, wie wir davon profitieren, in verschiedenen Kulturen beheimatet zu sein. Meine Eltern sind aus Korea, ich bin aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Bevor jemand Einwände gegen den Begriff „Katoffl“ hat – es ist eine Selbstbezeichnung. Ich fühle mich als Halbe Katoffl. Den Begriff finde ich besser als „Deutscher mit Migrationshintergrund.“

Seit 2016 gibt es Ihren Podcast, der erste deutschsprachige, der sich mit der Lebenswelt der Menschen mit Migrationsgeschichte beschäftigt. Wie sind Sie auf die Idee dazu gekommen und wie kam es zu dem Namen?

Frank Joung

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Zur Namensfindung: Ich wollte nicht das Anderssein herausstellen, sondern den deutschen Anteil betonen, ohne das Wort „deutsch“ explizit zu benutzen. Es sollte ein Begriff sein, der auf das Deutschsein verweist, aber nicht so sperrig ist. Da kam mir die Kartoffel schnell in den Sinn. Das Wort allerdings sollte ein bisschen nach Slang, nach Lockerheit klingen, daher habe ich mich für eine „falsche“ Schreibweise entschieden. Und warum der Podcast? Ich bin Journalist, ich höre gerne Podcasts, fand das Medium spannend und wollte schon immer „was mit Migrationshintergrund“ machen.

Ihre Eltern kommen aus Korea, Sie sind in Hannover aufgewachsen, haben in Göttingen studiert. Sie haben eigene diskriminierende Erfahrungen gemacht – angefangen mit ersten Erlebnissen im Kindergarten beim Singen des Lieds „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ …

Frank Joung

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Tatsächlich habe ich die Situationen damals im Kindergarten nicht vergessen, da wurde lachend auf mich gezeigt und ich dachte, was habe ich mit Chinesen zu tun? Es tut weh, in so grobe und auch falsche Schubladen gesteckt zu werden. Und besonders nervig ist es in der Pubertät, der Lebensphase, in der man herausfinden will, wer und was man ist. Bei der Identitätsfindung von anderen irgendwo einsortiert zu werden, wo man nicht hingehört und kaum raus kann, ist alles andere als hilfreich.

Es wäre schon gut, wenn man anfangen würde, mit den Menschen zu reden statt über sie.Bild eines Anführungszeichens

Frank Joung

Podcaster und Journalist

Zumal wenn man sich mit nationalen oder kulturellen Stereotypen plagen muss, bis hin zu üblen Beleidigungen und Beschimpfungen.

Frank Joung

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Meist sind es ja subtile Dinge im Alltag, Komische Sprüche, Blicke oder Andeutungen, die man nicht ganz genau einordnen kann, aber manchmal sind es dann doch diese Momente, wo einem klar wird, dass man nicht wirklich dazu gehört. Während meiner Unizeit in Göttingen habe ich gemerkt, dass es auch in akademischen Kreisen viele Vorurteile gibt. Allein schon, dass sich viele mir ganz offen gespiegelt haben, dass mein Name Frank angeblich nicht zu mir passe. Einmal auf einer Party habe ich versehentlich jemanden angerempelt, er drehte sich um und murmelte im Affekt: „Scheiß-Japse!“ Sowas merkt man sich, weil es einem das Gefühl gibt: Wenn man nicht mitschwimmt und sich nicht voll assimiliert, bzw. mal „Mist“ baut, ist man sofort wieder der „Japse“, der „Chinese“ oder „Fidschi“. Das können viele nicht nachvollziehen, die immer sagen: War ja nicht so gemeint oder Stell dich nicht so an, aber es tut weh. Das Schubladendenken kann man nicht ganz abschaffen, aber vielleicht dafür sensibilisieren, dass es mehr Schubladen gibt als Schwarz und Weiß – und dass die eine nicht mehr wert ist als die andere.

In den Gesprächen mit Ihren Gästen geht es um Integration, Identität und Stereotypisierung. Beeindruckend ist, dass Sie ernste Themen mit einer gewissen Leichtigkeit aufgreifen und dass in Ihrer Gesprächsreihe gerne und viel gelacht wird.

Frank Joung

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Für mich ist der unterhaltsame, positive Ansatz wichtig. Und natürlich sind persönliche Anekdoten interessanter als Theorien aus dem Lehrbuch. Dass ich selbst als Halbe Katoffl weiß, wovon gesprochen wird, macht es wahrscheinlich auch einfacher, miteinander zu lachen. Der Spruch „Komik ist Tragik in Spiegelschrift“ trifft hier voll zu; wir können auch über Geschichten lachen, die an sich nicht lustig sind. Bei all dem Mist, den manche erlebt haben, kommt in den Podcast-Gesprächen trotzdem ein Sinn für das Absurde, das Skurrile in manchen Situationen zutage. Wenn es ein Vertrauensverhältnis gibt, kann ich auch Dinge ansprechen, die womöglich tabuisiert sind und die sich andere nicht trauen würden zu fragen.

In Ihren Gesprächen werden Lebensentwürfe reflektiert und dazu gehört das Thema Identität. In jüngster Zeit gibt es viele Identitätsdebatten. Verfolgen Sie die?

Frank Joung

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Mal mehr, mal weniger. Mich interessieren vor allem persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, weniger steife Diskussionen von Außenstehenden. Ich möchte hören, was andere erlebt haben und wie sie damit umgegangen sind. Das versuche ich anzunehmen und nicht zu bewerten. Deswegen geht es bei Halbe Katoffl vor allem um die individuelle Lebensgeschichte. Die Biografien haben keinen repräsentativen Charakter, so nach dem Motto: ‚Heute habe ich einen Deutsch-Ghanaer zu Gast, der uns zeigt, wie alle Deutsch-Ghanaer sind.‘ Mir ist wichtig, dass es über uns Halbe Katoffln noch andere Geschichten zu erzählen gibt als die vier stereotypen Kernthemen Rassismus, Kriminalität, sozialer Aufstieg oder Religion. Ich möchte, den verschiedenen und vielfältigen Lebensrealitäten und -themen von Halben Katoffln Raum geben.

Ich wünsche mir, dass mehr und mehr Weiße erkennen, dass sie sich in einer privilegierten Machtposition befinden.Bild eines Anführungszeichens

Frank Joung

Podcaster und Journalist

Manche Ihrer Gäste schildern krasse rassistische Erlebnisse, andere reflektieren über die Besonderheit der Deutschen, eher subtil rassistische Breitseiten abzufeuern. Wie läuft die subtile Mikro-Aggression ab?

Frank Joung

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Es sind diese kleinen Dinge, die sich anhäufen. Beispiele aus meinem Leben: Als Kind habe ich erlebt, wie mir vorgeworfen wurde, geklaut zu haben. Dann kam meine Mutter und ich dachte, es klärt sich auf. Aber der Ladenbesitzer hat meiner Mutter nicht geglaubt – das habe ich bis heute behalten. Er hat sie nicht wie die anderen weißen deutschen Erwachsenen respektiert. Als Jugendlicher ist man mir ständig im Laden gefolgt, weil man anscheinend dachte, ich könnte was klauen. Als ich 16 war hat mir meine Freundin erzählt, dass sie im Fotoladen, wo sie gearbeitet hat, noch jemanden als Aushilfe suchen. Ich bin am nächsten Morgen hin. Der Typ hat mich nicht mal angeguckt und gesagt, es gäbe keine Stelle. Tage später hatte jemand anderes den Job. Bei der Wohnungssuche sprechen die Leute lieber mit meiner weißen Frau als mit mir. Einmal im vollen ICE kam jemand zu mir und sagte, hier sei „Bahn Comfort“ und als ich dann meinte: Ja und? Sagte er: Dürfen Sie hier sitzen? Als ich dann meine Bahncard 100 zeigte, zog er sauer wieder ab. Keine Entschuldigung, nix. Das sind alles keine eindeutigen, rassistischen Situationen, aber man entwickelt ein Gefühl dafür, wie Menschen über einen denken. Und es sammelt sich an übers Leben. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Manche erleben sowas zigmal an einem einzigen Tag. Und fast jede sichtbare Halbe Katoffl kann tonnenweise solche Geschichten erzählen. Im Übrigen: Das heißt nicht, dass man nicht auch als weißer Mensch diskriminiert werden kann.

Diesen Monat gab es den 16. Integrationsgipfel in Deutschland. Wie geht es Ihnen damit, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, „wir haben das Ziel, aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu machen“?

Frank Joung

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Das Wort Integration kann ich schon lange nicht mehr hören. Solche Sätze empfinde ich als Floskeln. Ganz ehrlich – beim Begriff „Integrationsgipfel“ schalte ich ab. Schon die Bezeichnung empfinde ich überholt und nicht stimmig. Da schwingt immer noch mit, ihr Menschen mit Migrationserfahrung habt eine Bringschuld – ihr müsst, ihr sollt… Debatten über Integration machen mich inzwischen müde. Ich muss mich nicht „integrieren“ – jedenfalls nicht mehr als alle anderen auch. Ich bin hier geboren. Zu einem Miteinander gehört, dass man jemanden als gleichwertig betrachtet. Ich habe selbst erlebt, dass drei weiße Männer im Alter von 60, 70+ auf einer öffentlichen Bühne über Rassismus und Integration reden und gar nicht merken, wie absurd das ist.

Also kein Gipfel, keine Debatten. Was wäre gut?

Frank Joung

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Ein Signal der Mehrheitsgesellschaft, eine ausgestreckte Hand. Es wäre schon gut, wenn man anfangen würde, mit den Menschen zu reden statt über sie. Ich wünsche mir, dass mehr und mehr Weiße erkennen, dass sie sich in einer privilegierten Machtposition befinden. Und dass sie mit dieser Macht verantwortungsvoll umgehen, indem sie nicht nach unten treten. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Rassismus kein Thema allein von Nichtweißen, sondern von uns allen ist. Damit einher geht die Verantwortung, die mit dem Weißsein verbundenen Privilegien zu reflektieren.
Portrait Frank Young
Würde sich freuen, wenn die Mehrheitsgesellschaft anerkennt, dass Rassismus kein Thema ist allein von Nichtweißen. | © Frank Joung

Über Frank Joung

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Frank Joung, Jahrgang 1976, wurde in Hannover geboren. Seine Eltern stammen aus Korea. Er lebt und arbeitet als Journalist und Podcaster in Berlin. Sein Podcast „Halbe Katoffl“ ist eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nichtdeutsche Wurzeln haben. Die erste Folge wurde im November 2016 veröffentlicht, die jüngste Gesprächspartnerin war 16 Jahre alt, der älteste 73. Der Halbe-Katoffl-Podcast steht für Inklusivität und richtet sich ausdrücklich auch an „Ganze Katoffln” – Potatoes welcome!