9. März 2023

Nach Wiederholungswahl in Berlin: keine Pannen, aber auch keine Euphorie

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Für Wahlforscher Prof. Thorsten Faas sind es spannende Tage: Die Wahl zum Abgeordnetenhaus lief reibungslos – die Deutung des Wählerwillens im Anschluss ist schon kontroverser.

Fernsehturm und Rotes Rathaus in Berlin. Auf dem Rathaus weht die Fahne mit dem Berliner Bär.
Bär und Fernsehturm bleiben den Berliner*innen erhalten, auch wenn der Chefsessel im Roten Rathaus vermutlich neu besetzt wird. | © cbies/iStock

Prof. Faas, angesichts des Wahlergebnisses, das der CDU zwar einen Überraschungssieg brachte, aber auch dem bisherigen Regierungsbündnis aus Rot-Grün-Rot genug Stimmen für eine Fortsetzung: Was denken Sie, wünschen sich die Berliner*innen von der Politik?

Prof. Thorsten Faas

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Diese Wahl im Februar war in vielerlei Hinsicht eine besondere Wahl. Die Fehler und Pannen, die 2021 in Berlin passiert sind, haben den Verfassungsgerichtshof am Ende zu der Entscheidung gebracht, die 2021er Wahl für nichtig zu erklären und eine komplette Wiederholungswahl zu verlangen. Das hatten wir so noch nie. Damit war aber auch der Boden für die Wiederholung bereitet: Was klappt eigentlich in Berlin? Wer ist verantwortlich für die Fehler? Und wo sammelt sich der Protest? Umfragen vor der Wahl haben gezeigt, dass die Zufriedenheit mit dem rot-grün-roten Senat nicht sehr hoch war und Zahlen rund um das Wahlergebnis legen nahe, dass die CDU aus Protest gewählt wurde. Das war und ist schon sehr bemerkenswert.

Der Wahlkampf wurde durchaus mit harten Bandagen geführt. In den Sondierungsgesprächen der CDU mit Grünen und SPD und wohl jetzt auch in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD wird nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen gesucht. Kann das funktionieren?

Prof. Thorsten Faas

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Das Parteiensystem in Deutschland ist bunter und dynamischer geworden. Das macht aber sowohl den Wahlkampf als auch die Zeit nach dem Urnengang komplizierter. Gegen wen führt man eigentlich Wahlkampf? Und wie führt man dann nach der Wahl zusammen, was zuvor als schwierig bis unmöglich präsentiert worden ist? Auf der Ebene von Parteieliten mögen Kompromisse verhandelbar und denkbar sein. Doch die große Herausforderung besteht darin, die Parteibasis und die Wählerinnen und Wähler mitzunehmen. In Berlin wird das gerade sehr deutlich. Keines der möglichen Bündnisse sorgt wirklich für Euphorie und jedes von ihnen wäre mit großen Herausforderungen konfrontiert. Zugleich sind die Erwartungen an die neue Regierung auch nicht sehr hoch. Da merkt man schon eine Menge Frustration. Volksentscheide, die Berliner Politik ja auch prägen in diesen Tagen, machen das Ganze noch schwieriger.

Es gibt keinen DIN-genormten Begriff von „Wählerauftrag“.Bild eines Anführungszeichens

Prof. Thorsten Faas

Politikwissenschaftler und Wahlforscher

Die Wähler*innen wünschten sich kein „weiter so“ – damit hat Franziska Giffey ihre Entscheidung für ein Bündnis mit der CDU begründet. Dabei verfügt die bisherige rot-grün-rote Koalition über eine immer noch stabile Mehrheit und steht sich inhaltlich eigentlicher auch näher. Wäre das doch eine Alternative gewesen?

Prof. Thorsten Faas

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Auch aus dieser Warte betrachtet waren die vergangenen Tage und Wochen interessant. Drei Bündnisse – schwarz-rot, schwarz-grün, rot-grün-rot – hätten eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Wie man eine solche Situation organisiert und einer Lösung zuführt, dafür gibt es keine Regeln. Das müssen die Parteien selbst organisieren und dabei versuchen sie vor allem auch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Klar hat die CDU die meisten Stimmen erhalten und im Vergleich zu 2021 auch hinzugewonnen. Und doch ist es auch so, dass es keinen DIN-genormten Begriff von „Wählerauftrag“ gibt. Wenn darüber gesprochen wird, was jetzt wohl die Menschen wollen, was das Ergebnis bedeutet, aber auch, was sich vermeintlich „gehört“ und was „unanständig“ wäre – dann sind das alles interessengeleitete Kämpfe um die Deutungshoheit.

Hatte Franziska Giffey einfach Pech mit der Wiederholungswahl nach nur gut einem Jahr?

Prof. Thorsten Faas

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Ob Glück oder Pech eine Rolle spielen, ist schwer zu sagen. Richtig ist aber, dass dieser Senat und auch die Regierende Bürgermeisterin keine allzu guten Werte in Umfragen hatten. Und entsprechend ist dann das Wahlergebnis ausgefallen. Das hat übrigens viel damit zu tun, dass der Senat aus SPD, Grünen und Linken nicht wirklich geschlossen agiert hat, sondern intern auch durchaus zerstritten war. Und mit der Entscheidung für eine Wiederholungswahl war natürlich auch die Führungsfrage – rot oder grün – sofort wieder da und offen. Dass am Ende nur rund 50 Stimmen zwischen SPD und Grünen lagen, hat das ja nochmal auf den Punkt gebracht. Richtig ist aber auch, dass eine neue Wahl rund eineinhalb Jahre nach Beginn der Legislaturperiode ein schwieriger Zeitpunkt für eine Regierung ist. Eigentlich ist man da mitten in der Umsetzung eines Koalitionsvertrags, wird aber dann plötzlich zurück auf Wahlkampf-Los geschickt.

Wahlen sind die zentrale Säule unserer Demokratie und man muss sich darauf verlassen können, dass das funktioniert. Bild eines Anführungszeichens

Prof. Thorsten Faas

Politikwissenschaftler und Wahlforscher

In einem Bezirk wurden Wahlbriefe verschludert, in einem anderen musste neu ausgezählt werden. Doch davon abgesehen lief die Wahl organisatorisch gesehen reibungslos – ganz anders als bei der Pannenwahl 2021. Welche Bedeutung hat das für das Vertrauen in den Staat und die Demokratie?

Prof. Thorsten Faas

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Es war gut und wichtig, dass alles funktioniert hat, von kleinen Ausnahmen abgesehen. Wahlen sind die zentrale Säule unserer Demokratie und man muss sich darauf verlassen können, dass das funktioniert. Und zum Glück war es ja dieses Mal auch so. Man muss ja nur nach Brasilien oder in die USA schauen, um zu erahnen, was passieren kann, wenn in einer Gesellschaft kein Vertrauen in faire Wahlen mehr vorhanden ist – nämlich die Erstürmung von Parlamenten. Das ist keine Petitesse.
Mann mit Brille und im Jackett lächelt in die Kamera.
Wahlforscher Prof. Thorsten Faas beobachtet die Kämpfe um die Deutungshoheit nach der Berlin-Wahl. | © Bernd Wannenmacher

ÜBER PROF. THORSTEN FAAS

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Prof. Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler und Wahlforscher. Er leitet die Arbeitsstelle „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Anfang 2023 veröffentlichte er mit der Otto-Brenner-Stiftung die Studie „Mehr wählen wagen?“, die sich mit dem Wahlalter beschäftigt und Ungleichheiten beim „Wählen ab 16“ analysiert.

Wo Deutschland 2023 wählt

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Am 12. Februar wurden knapp 2,5 Millionen Berliner*innen zum Urnengang gebeten. Abgestimmt wurde über das Berliner Abgeordnetenhaus und somit über die Regierung des Stadtstaats. Und das nur rund 16 Monate nach der jüngsten Wahl des Abgeordnetenhauses. Der Verfassungsgerichtshof hatte die Wahl von 2021 aufgrund grober Mängel für ungültig erklärt. Damals waren unter anderem Stimmzettel ausgegangen, einige Wahllokale blieben länger als erlaubt geöffnet, andere schlossen pünktlich, ohne dass alle Wahlberechtigen ihre Stimme hatten abgeben können. Das Ergebnis bescherte der CDU einen kräftigen Stimmenzuwachs und kostet Franziska Giffey wahrscheinlich ihren Job als Regierende Bürgermeisterin – so der Stand Anfang März. Die gute Nachricht: Die Wahl lief diesmal einwandfrei ab und ist gültig.

Davon ist auch in Bremen, Hessen und Bayern auszugehen: Am 8. Oktober entscheiden die Bürger*innen dort über ihre künftigen Landesregierungen. Und auch wenn beide Bundesländer bisher ohne größere Wahlpannen auskamen – im Hinblick auf die zerstrittene Ampelregierung im Bund wird auch dieser Wahltag spannend.