17. November 2022

„Ich sehe nicht, dass die USA stark zerstritten sind“

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Prof. Dr. h.c. Martin H. Richenhagen hat nach seiner aktiven Zeit als Manger des US-Landtechnik-Hersteller AGCO das Buch „Der Amerika-Flüsterer“ geschrieben. Aktuell ist er Chairman des „American Institute for Contemporary German Studies“ in Washington, DC. Ein Gespräch über die Stimmung in den USA anlässlich der Zwischenwahlen am 08. November 2022.

Midterm election 2022 in United States of America | © iStock/gguy44

Herr Richenhagen wo leben Sie?

Martin Richenhagen

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Seit 2004 lebe ich in Atlanta, Georgia/USA. Wir sind 2004 mit der Familie, also meiner Frau und drei Kindern, hierhergezogen. Seit 2010 haben wir die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die deutsche konnten wir behalten, so kommen wir in den Genuss von zwei Pässen.

Fühlen Sie sich wohl in Atlanta?

Martin Richenhagen

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Sehr. Die Menschen hier in den Südstaaten sind sehr freundlich. Wenn ich Brötchen holen gehe, strahlt mich die Verkäuferin an und wünscht mir lächelnd „have a beautiful day, Baby“ hinterher. Wenn ich in Berlin bin, wo wir auch eine Wohnung haben, beobachte ich diese Freundlichkeit nicht – naja, für ihren Charme sind die Bewohner Berlins ja auch nicht bekannt. Was ich am Leben in den USA mag, ist die höfliche, zugewandte Mentalität. Die Amerikaner*innen  sind Weltmeister der Toleranz. Zudem gibt es weniger Bürokratie, das finde ich auch gut.

Sprechen Sie mit Ihren Nachbarn über US-amerikanische Politik?

Martin Richenhagen

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Selbstverständlich. Aber erst, wenn man sich etwas kennengelernt hat. Man redet nicht sofort über Politik, wie gesagt, die Menschen hier sind höflich. Aber natürlich trifft man auf unterschiedliche politische Ansichten und darüber tauscht man sich aus. Ich habe etwa einen guten Freund in Texas, der ist Demokrat. Er fühlt sich extrem unwohl mit dem republikanischen Gouverneur Greg Abbott, der nun wiedergewählt wurde. Dieser Freund erwägt nun, nach New York zu ziehen.

Wie kommen Ihnen die USA vor – Land und Leute? Sind die USA zerstritten, nervös, aggressiv und desillusioniert, wie etwa der Journalist Evan Osnos in seinem Buch „Mein wütendes Land“ feststellt?

Martin Richenhagen

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Das sehe ich wesentlich sachlicher. Die Medien ereifern sich zurzeit in Bezug auf die Spaltung des Landes. Persönlich erlebe ich das weder im privaten Umfeld noch in der Wirtschaft. Ich finde nicht, dass das Land stark zerstritten ist. Hier gibt es keine Grünen, keine AFD. Es gibt zwei politische Lager – was ist daran auszusetzen? Zumal es auch Schnittmengen gibt. Zwischen der demokratischen und der republikanischen Partei besteht in außenpolitischen Fragen durchaus Konsens, etwa mit Blick auf die Ukraine, auf die NATO oder die Gasversorgung. Streitpunkte sind die Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen und zum Waffenbesitz. Aber das ich sehe nicht dramatisch, dazu kann man unterschiedliche Haltungen haben.

Zwischen der demokratischen und der republikanischen Partei besteht in außenpolitischen Fragen durchaus Konsens, etwa mit Blick auf die Ukraine, auf die NATO oder die Gasversorgung.Bild eines Anführungszeichens

Prof. Dr. h.c. Martin H. Richenhagen

Die „rote Welle“ ist schwächer als von vielen befürchtet. Trotzdem die Frage: Kommt Donald Trump zurück?

Martin Richenhagen

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An eine Rückkehr Trumps glaube ich nicht. Er ist ein Demagoge, Rassist, Sexist und Lügner. Seine radikalen Unterstützer sind nicht gewählt worden.

Ist Ron DeSantis, der Gouverneur von Floria, eine ernstzunehmende Konkurrenz für Donald Trump?

Martin Richenhagen

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Ron DeSantis ist ein sehr ernsthafter Kandidat der Republikaner, der sich allerdings inhaltlich nicht wirklich von Trump unterscheidet.

Ron DeSantis ist ein sehr ernsthafter Kandidat, der sich allerdings inhaltlich nicht wirklich von Trump unterscheidet.Bild eines Anführungszeichens

Prof. Dr. h.c. Martin H. Richenhagen

Lassen Sie uns auf Europa blicken. Muss Europa sich endlich ändern und selbst Verantwortung übernehmen – etwa bei der Stärkung der Demokratie in der Welt?

Martin Richenhagen

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Definitely, Europa hat die Chance, Verantwortung zu übernehmen. Der russische Angriffskrieg hat beispielsweise dazu geführt, dass Europa stärker zusammenrückt. Auch in der EU und der Nato ist ein besseres Alignment auszumachen.

Sind Sie zuversichtlich, dass Europa rasch handelt und Verantwortung übernimmt?

Martin Richenhagen

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Naja, zuversichtlich wäre zu viel gesagt. Für jemanden, der wie ich aus der Wirtschaft kommt, wo man ja recht schnell lösungsorientiert handelt, wenn ein Problem erkannt wurde, würde ich mir mehr Tempo wünschen. Aber politische Prozesse brauchen eben ihre Zeit, zumal in Europa, wo viele Interessen unter einen Hut gebracht werden müssen. Das kann mühsam sein. Vor diesem Hintergrund finde ich, Frau von der Leyen macht das nicht schlecht.
Buchcover mit einem Porträt von Martin Richenhagen. Der Titel lautet "Der Amerika-Flüsterer".
Martin Richenhagen | © Edel Verlag

Über Prof. Dr. h.c. Martin H. Richenhagen

Pfeil

Prof. Dr. h.c. Martin H. Richenhagen ist ein deutsch-amerikanischer Manager im Ruhestand. Bis 2020 war er Chairman, Resident und CEO des US-Landtechnik-Herstellers AGCO. Er lenkte 16 Jahre lang das Fortune-500-Unternehmen. Im Jahr 2021 hat er das Buch „Der Amerika-Flüsterer. Mein Weg vom deutschen Religionslehrer zum US-Topmanager“ veröffentlicht. Aktuell ist er Vorsitzender des „AICGS Board of Trustees (American Institute for Contemporary German Studies)”.