26. März 2021

Thorsten Faas über Volksparteien, Koalitionen und Affären

Plus Icon Gesellschaft//Wahlen//

Nach zwei Landtagswahlen steckt Deutschland mittendrin im Superwahljahr. Der Wahlforscher Prof. Thorsten Faas sieht Rückschläge für extreme Parteien und die neue Koalitionsvielfalt vor allem als Herausforderung.

Superwahljahr 2021
Ausweis zeigen, Kreuzchen setzen, Wahlschein einwerfen: Viele Bundesbürger*innen dürfen in diesem Jahr gleich mehrfach zum Urnengang antreten. | © Adobe Stock/Damir

Prof. Faas, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde gewählt und auf einmal reden alle über neue Koalitionsoptionen auch im Bund. Sehen Sie das auch so?

Prof. Thorsten Faas

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Jein. Einerseits sind ja nicht wirklich völlig neue Koalitionsoptionen hinzugekommen (sieht man einmal von der Liebhaber-Debatte um die Möglichkeit einer grün-gelben Koalition in Baden-Württemberg ab), andererseits ist durch die beiden Wahlen eben sehr deutlich geworden, dass vieles in diesem Jahr möglich ist, gerade auch was Koalitionen betrifft.

Was denken Sie, welche Rolle bundesweite Themen wie die Pandemiebekämpfung und die sogenannte Maskenaffäre auf die beiden Landtagswahlen hatten?

Prof. Thorsten Faas

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Hier muss man zunächst auf den hohen Briefwähler*innenanteil verweisen, gerade in Rheinland-Pfalz. Der hat so manchen Effekt in den allerletzten Tagen vor den Wahlen abgepuffert. Zudem zeigen Studien, dass diese Affären sehr stark mit der Bundespolitik verbunden sind. Und trotzdem sollte man den Effekt nicht unterschätzen, denn diese Themen haben die politische Agenda einfach so stark dominiert auf der Zielgeraden, dass für andere, landespolitische Themen und Akzente einfach kein Platz war. Das wäre gerade für Herausforderer*innen in den Ländern wichtig gewesen.

Uns steht ein spannendes Wahljahr bevor mit einem hoffentlich interessanten Wahlkampf. Den sollten wir uns auch nicht schlechtreden lassen.Bild eines Anführungszeichens

Prof. Thorsten Faas

Politikwissenschaftler und Wahlforscher

Früher gab es im Wesentlichen zwei Optionen für Koalitionen auf Bundesebene: eine Volkspartei plus ein kleiner Partner oder große Koalition. Inzwischen ist nicht mehr so klar, wer Volkspartei und wer kleiner Partner ist, auch deshalb sind neue Konstellationen denkbar. Tut das der Politik eher gut oder nicht?

Prof. Thorsten Faas

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„Volkspartei“ ist ja ein fast schon verpönter Begriff in diesen Tagen, den manche Parteien – ich denke an die Grünen – in der Selbstzuschreibung bewusst vermeiden. Und tatsächlich ist er auch weniger klar in der Begrifflichkeit, als manche meinen. Aber die Vielfalt an Koalitionen stellt uns alle vor Herausforderungen – Parteien und Politiker*innen, weil sie immer wieder zu Aussagen gezwungen werden, die sie ungern tätigen, Wähler*innen, weil damit Orientierungspunkte verloren gehen. Einzig die Medien lieben diese Fragen … wer mit wem?

Wie steht es eigentlich derzeit um die alten Begriffe rechts, links, konservativ, die früher relativ leicht einzelnen Parteien zuzuordnen waren. Gilt das heute noch?

Prof. Thorsten Faas

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Parteien unterscheiden sich, das muss man erst einmal sehr klar und deutlich sagen. Es ist keineswegs so, dass die beliebig austauschbar wären. Aber es ist komplexer geworden, einerseits weil natürlich die Koalitionsvielfalt auch Rückwirkungen auf die Programmatik von Koalitionen (und damit Parteien) hat. Andererseits reden wir heutzutage auch über „links“ und „rechts“ facettenreicher als früher. Neben klassisch ökonomischen Fragen spielen da heute auch ganz stark kulturelle Fragen, Fragen der „Identität“, eine wichtige Rolle. Links und rechts ist nicht mehr eindimensional, könnte man sagen.

Superwahljahr 2021

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Bei einer demokratischen Wahl können Bürgerinnen und Bürger Einfluss auf die Geschicke ihres Landes nehmen. 2021 gibt es dazu reichlich Gelegenheit: Am 14. März waren in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Landtagswahlen, in Hessen Kommunalwahlen. Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Am 12. September stehen Kommunalwahlen in Niedersachsen an. Der 26. September ist der Tag der Bundestagswahl, Berliner*innen wählen außerdem ihr Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlung. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sind am gleichen Tag Landtagswahlen.

Es gibt also viele Anlässe für Politikerinnen und Politiker, um die Gunst der Wählerschaft zu werben. Obwohl der Wahlkampf in diesem Jahr pandemiebedingt tüchtig auf den Kopf gestellt werden dürfte. Kontaktverbote und Abstandsregeln bewirken eine Verlagerung ins Digitale. Aktive Politikerinnen und Politiker sind derzeit als Krisenmanager*innen einem dauernden Stresstest ausgesetzt – und das im Rampenlicht. Währenddessen buhlen rechte Agitator*innen um Menschen, die mit den Anti-Corona-Maßnahmen der Politik unzufrieden sind. Außerdem wird es nach vier Legislaturperioden erstmals einen neuen Bundeskanzler oder eine neue Bundeskanzlerin geben. Das heißt also: Das Wahljahr 2021 birgt eine Reihe von Besonderheiten und Herausforderungen, die es in der Geschichte unserer Demokratie zu einem Wegweisenden machen. Uns ist das eine eigene Wahl-Serie im Blog der Nemetschek Stiftung wert – mit Interviews und Berichten zu vielen Facetten im Superwahljahr 2021.

Es gab ein allgemeines Aufatmen, dass die extremen Parteien Stimmen verloren haben. Ist das schon ein Trend?

Prof. Thorsten Faas

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Die Wahlbeteiligung ist zurückgegangen, das scheint der AfD geschadet zu haben. Gleichwohl muss man sagen: In beiden Ländern lag die Partei klar über der Fünfprozenthürde, obwohl das Umfeld für sie nicht einfach war. Ein Rückschlag sicherlich, aber man sollte jetzt auch nicht kurzfristig hoffen, dass das automatisch so weitergeht.

Normalerweise profitieren Amtsinhaber*innen in Krisenzeiten davon, dass sie sich als Macher*innen profilieren können. Angesichts wachsender Kritik am Corona-Management der Bundesregierung – wie schätzen Sie diesen Effekt für die Bundestagswahl ein?

Prof. Thorsten Faas

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Einfache Antwort: Es gibt ja keine Amtsinhaber*in – das macht das Wahljahr so spannend. Aber klar ist auch: Ein Wahlkampf, der auf Vertrauen, Kompetenz, „gutes Regieren“ alleine setzt, der wird durch die Debatten rund um Impfen, Testen, Schließen, Öffnen etc. gerade nicht leichter … Uns steht ein spannendes Wahljahr bevor mit einem hoffentlich interessanten Wahlkampf. Den sollten wir uns auch nicht schlechtreden lassen, das wäre zumindest meine Hoffnung und mein Appell.
Mann mit Brille und im Jackett lächelt in die Kamera.
Wahlforscher Prof. Thorsten Faas beobachtet die Kämpfe um die Deutungshoheit nach der Berlin-Wahl. | © Bernd Wannenmacher

Über Prof. Thorsten Faas

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Prof. Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler und Wahlforscher. Er ist Professor im Bereich „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ an der Freien Universität Berlin.