25. Februar 2021

Trump als Stresstest für die US‑amerikanische Demokratie

Plus Icon Demokratie//International//

„Heilen“ will Joe Biden sein Land. Doch wie kann das gelingen angesichts einer halben Million Corona-Toten, dem Sturm auf das Kapitol, der Wirtschaftskrise und strukturellem Rassismus? Der Politologe Prof. Christian Lammert analysiert die Lage in den USA.

Trump als Stresstest für die US-amerikanische Demokratie
Die Krise der USA ist auch eine Krise der beiden großen Parteien Republikaner und Demokraten, sagt Prof. Christian Lammert. | © Adobe Stock/Delphotostock

Prof. Lammert, viele Menschen hierzulande sind erleichtert, dass Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt. Andere fürchten, seine Amtszeit hat unüberwindbare Gräben in der Gesellschaft hinterlassen. Wie sehen Sie das?

Prof. Christian Lammert

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Das schließt sich nicht aus. Man kann einerseits froh sein und gleichzeitig meinen, dass die US-amerikanische Gesellschaft tief gespalten ist. Ich würde argumentieren, dass die Spaltung nicht primär durch Trump entstanden ist, sondern dass er auch aufgrund dieser Spaltung ins Amt gewählt wurde.  Wir sehen schon seit den 80er und 90er Jahren einen Trend zur Polarisierung sowohl bei den politischen Eliten, als auch in der Gesellschaft.

Woran machen Sie das fest?

Prof. Christian Lammert

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Es gab in dieser Zeit steigende Ungleichheiten bei Einkommen und Wohlstand. Und schon unter der Obama-Administration gab es polizeiliche Übergriffe auf Afroamerikaner, die einen strukturellen Rassismus offengelegt haben. Diese Phänomene waren bereits da und wurden durch Trump und seine Administration instrumentalisiert, um seine Wähler*innen zu mobilisieren und in gewisser Weise auch zu radikalisieren. Was die Spaltung betrifft, hat er eben nicht versucht, Gräben zuzuschütten, sondern hat sie bewusst ausgeweitet. Und er hat einige zentrale politische Institutionen in den USA – das System der Gewaltenteilung, aber auch die Republikanische Partei – in eine tiefe Krise geführt. Die Trump-Administration war ein Stresstest für die Demokratie in den USA. Und es wird sich jetzt zeigen müssen, inwieweit sich einige dieser Institutionen, vor allem die Republikanische Partei, davon erholen.

Die Trump-Administration war ein Stresstest für die Demokratie in den USA.Bild eines Anführungszeichens

Prof. Christian Lammert

Politologe am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien

Der neue US-Präsident Joe Biden ist angetreten, das schwer gespaltene Land „zu heilen“. Kann ihm das gelingen?

Prof. Christian Lammert

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Ich bin pessimistisch, dass das einem einzigen Präsidenten überhaupt gelingen kann. Ich denke, es ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Spaltung zu überwinden. Das kann man auch nicht von oben oktroyieren. Er kann natürlich versuchen – und dafür ist Joe Biden aus meiner Sicht auch der geeignete Präsident – eher mäßigend einzuwirken. Aber da sind eben auch die Gegenkräfte: Etwa Trumps Anhänger*innen, die hoffen, dass er 2024 wieder antritt oder republikanische Senator*innen, die ankündigen, sie würden ein Impeachment-Verfahren gegen Vizepräsident Kamala Harris einleiten, wenn sie die Zwischenwahlen gewinnen. Im Moment sieht es noch nicht nach Heilung aus.

Welche gesellschaftlichen Gruppen müssten aktiv werden, damit ein solcher Prozess angestoßen werden kann?

Prof. Christian Lammert

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Da müssten Verbände sich engagieren, auch die Medien weniger polarisieren, Initiativen aus den Einzelstaaten wären förderlich… Es sind viele kleine Puzzleteile, die zusammenkommen müssen, um die vorhandenen Gräben zumindest soweit zu überbrücken, dass wieder ein normaler politischer Diskurs möglich ist.

Was kann Biden dazu beitragen?

Prof. Christian Lammert

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Er kann die USA aus den anderen Krisen herausführen, die das Land derzeit erlebt: aus der Gesundheits- und aus der Wirtschaftskrise, die damit einhergeht. Es zeigt sich immer wieder, dass es der Demokratie und dem gesellschaftlichen Zusammenwachsen zuträglich ist, wenn es den Menschen wirtschaftlich besser geht. Das wäre auch die Basis für überparteiliche Kooperation. Allerdings ist auch diese Aufgabe nicht zu unterschätzen. Und mit dem Klimawandel und der Reform der Einwanderungsgesetze bahnen sich weitere intensive Konflikte an. Aus all diesen Gründen kann ich mir schwer vorstellen, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einer deutlichen Beruhigung in den USA kommt.

Sehen Sie denn Anzeichen für Anstrengungen aus der Gesellschaft, die darauf abzielen, die Polarisierung zu überwinden?

Prof. Christian Lammert

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Was wir sehen ist eine Politisierung. Es gab Rekordzahlen bei der Wahlbeteiligung und in Vorbereitung auf die Zwischenwahlen formieren sich viele zivilgesellschaftliche Gruppierungen und versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Aber das Ganze spaltet sich immer noch entlang dieser beiden ideologischen Gruppierungen in progressiv und konservativ. Hinzu kommt die extreme Basis der Trump-Anhänger*innen, die für den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar verantwortlich war. Diese Gruppe ist in den vergangenen Jahren aus der Schmuddelecke der Gesellschaft weiter in den Mainstream gerückt. Dazu gehören die Proud Boys, die White Nationalists, die offen für ein weißes Amerika argumentieren. Damit muss man sich auseinandersetzen. Nach Meinung vieler Expert*innen besteht die Gefahr, dass die USA jetzt eine Phase von inländischem Terrorismus erleben werden. Das wäre eine große Herausforderung für die Gesellschaft. Meine Hoffnung hingegen ist, dass die Mobilisierung in der gesellschaftlichen Mitte stark genug sein kann, um neuen Konsens zu finden.

Wenn man das Impeachment-Verfahren ernst nimmt, dann blieb den Demokraten eigentlich nichts anderes übrig, als Donald Trump wieder anzuklagen.Bild eines Anführungszeichens

Prof. Christian Lammert

Politologe am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien

Die Demokraten haben ein zweites Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump eingeleitet – und sich erneut nicht durchsetzen können. War es dennoch sinnvoll?

Prof. Christian Lammert

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Wenn man das Impeachment-Verfahren ernst nimmt, dann blieb ihnen eigentlich nichts anderes übrig, als Donald Trump wieder anzuklagen. Denn was könnte noch mehr Anlass bieten, als der Sturm auf das Kapitol? Und die Beweisführung der Demokraten war insgesamt sehr überzeugend. Sie haben die Verantwortung Trumps deutlich gemacht, auch mit Blick auf die Vorgeschichte, dass er das Wahlergebnis immer wieder geleugnet und den friedlichen Übergang der Administrationen infrage gestellt hat.  Das sind schon Vergehen, die das Impeachment absolut rechtfertigen und jetzt auch noch strafrechtlich verfolgt werden müssen. Es werden eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren auf Trump und seine Familie zukommen. Da gibt es in Georgia Anklagen wegen Wahlbeeinflussung, in New York gegen die Geschäftspraktiken der Trump Administration und wahrscheinlich wird es auch von Washington aus Klagen geben wegen Anstachelung zur Rebellion. Die Aussichten, dass er für eines dieser Vergehen auch verurteilt wird, sind ziemlich groß.

Nicht nur das Land ist gespalten, auch die republikanische Partei. Wie entscheidend wird deren Entwicklung für die Zukunft des ganzen Landes sein?

Prof. Christian Lammert

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Das wird tatsächlich eine große Rolle spielen, auch für die Demokratie in den USA. Allerdings sehe ich aufgrund der gesellschaftlichen Fragmentierung eigentlich eine Krise beider großen Parteien. Das wird dann immer bei der Partei so ein bisschen überblendet, die gerade Wahlen gewinnt. Das war 2016 bei den Republikanern so, als der Sieger Trump hieß. Da hat man dann nicht mehr viel darüber geredet, wie intern gespalten die Partei ist. Und das sieht man jetzt bei den Demokraten, die in einen eher moderaten und einen eher progressiven Flügel gespalten sind. Bei den Republikanern ist es noch drastischer. Da sind es Verschwörungstheoretiker*innen und rechtsextreme Gruppierungen, die in den Einzelstaaten immer stärker werden und jetzt auch schon die ersten Abgeordneten ins Repräsentantenhaus entsenden konnten. Deshalb ist die große Frage: Stellt sich die republikanische Elite gegen Trump oder nicht?

Welche Tendenz sehen Sie im Moment?

Prof. Christian Lammert

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Das bleibt spannend. Kurz nach dem Sturm auf das Kapitol formierte sich deutlicher Widerstand gegen Trump. Nicht nur bei Politiker*innen, sondern vor allem – und das ist vielleicht noch viel wichtiger – bei Geldgeber*innen, die die Partei und die Wahlkämpfe unterstützen. Zudem gab es Parteiaustritte. Viele eher moderate Amtsinhaber*innen und Senator*innen haben schon angekündigt, dass sie bei den nächsten Wahlen einfach nicht antreten werden. Zum Teil, weil sie Angst vor dieser radikalen Anhängerschaft von Trump haben, die ja auch nicht vor Gewalt zurückschreckt. Deshalb habe ich die Hoffnung, dass diese eher moderate republikanische Partei die Oberhand gewinnt. Man darf aber auch nicht unterschätzen, wie viele Gemeinsamkeiten die Republikaner und Donald Trump eigentlich haben.

Nämlich?

Prof. Christian Lammert

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Trump konnte nur Kandidat der Republikaner werden, weil die Republikaner sich in den vergangenen 30 Jahren bereits massiv nach rechts bewegt haben. Vieles, was Trump als Präsident durchgesetzt hat, war durchaus im Sinne von Mainstream-Republikaner*innen, vor allem die Steuerreform. Damit kam er den Wirtschaftsinteressen der Partei entgegen. Dann die Einwanderungspolitik mitsamt der ausländerfeindlichen Haltung. In diesem Punkt sind die moderaten Kräfte in der Partei schon seit Jahrzehnten immer mehr in die Defensive geraten. Trump ist eben auch ein Ausdruck einer schon länger währenden Krise der Republikanischen Partei.
Portrait: Prof. Christian Lammert
Der Politologe Prof. Christian Lammert rechnet nicht damit, dass sich die Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft in wenigen Jahren überwinden lässt. | © Kerstin Petermann

Über Prof. Christian Lammert

Pfeil

Der Politologe lehrt als Professor am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin und ist Research Associate am Zentrum für Nordamerika-Forschung der Goethe-Universität Frankfurt. Zu Lammerts Schwerpunkt gehören politische Systeme in Nordamerika, Steuer- und Sozialpolitik sowie Nationalismusforschung.  Derzeit schreibt Prof. Christian Lammert zusammen mit Prof. Boris Vormann an einem Buch über „Das Versprechen der Gleichheit. Legitimation und die Grenzen der Demokratie“ (Campus Verlag).