„Ein Klima der Angst“ – so beschreibt Sebastian Reißig, Geschäftsführer der Aktion Zivilcourage, die Stimmung in Pirna Ende der 90er Jahre. „Eine rechte Bedrohung richtete sich damals potenziell gegen alles, was anders war, also nicht allein gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, Sprache oder Kleidung. Mit „Bedrohung“ meint Reißig Einschüchterungen, Beschimpfungen bis hin zu körperlicher Gewalt. Skinheads gehörten damals ganz selbstverständlich zum Straßenbild, machten Stimmung in den Jugendclubs und Jagd auf Andersdenkende. Im Gebiet rund um Pirna waren die Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) aktiv, gegründet von ehemaligen Mitgliedern der verbotenen Wiking-Jugend. Ihr Ziel: die Region „zu säubern“.
Rechtsextremismus, Fremdenhass, Demokratiefeindlichkeit: In Sachsen bricht sich dies immer wieder Bahn. Im Herbst 2014 Jahr fand in der Landeshauptstadt Dresden die erste Demonstration der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ statt, besser bekannt unter dem Kürzel Pegida. In Spitzenzeiten wurden die Demonstrationen von bis zu 25.000 Menschen besucht. In Heidenau, unmittelbar vor den Toren Pirnas, kam es im August 2015 zu Auseinandersetzungen von Polizei und rechtsextremen Gruppen vor einer Notunterkunft für Asylbewerber. 31 Polizisten wurden verletzt. Beteiligt waren auch Mitglieder der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“, die später unter anderem wegen Sprengstoffanschlägen auf Asylunterkünfte zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden.
Auch bei Wahlen sind rechte Parteien erfolgreich: Von 2004 bis 2014 gehörten zwei von 26 Mitgliedern im Pirnaer Stadtrat der NPD an. Bei der Europawahl im Mai 2019 spielte die NPD zwar keine Rolle mehr, dennoch stimmte im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, zu dem Pirna gehört, fast jeder Dritte für die AfD – ein Spitzenwert in Deutschland.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Sachsen Schauplatz zahlreicher Gegendemonstrationen ist. Beispielsweise setzten rund 35.000 Menschen am Wochenende vor der Wahl in Dresden ein Zeichen gegen Fremdenhass und Intoleranz. Die Botschaft der Organisatoren: „Sachsen kann auch anders, Dresden ist viel, viel mehr als Pegida“.
Wir fangen an mit Basiswissen über unser demokratisches System. Nach welchen Grundsätzen gehen wir zur Wahl? Wie läuft eine Wahl ab?
ANGST UND GEWALT ETWAS ENTGEGENSETZEN
Das herauszustellen ist auch Sebastian Reißig wichtig: „Eine große Mehrheit in Sachsen hat nicht die AfD gewählt, und ein Klima der Angst wie in den 90ern erlebe ich auch nicht mehr.“ Ein wenig liegt das auch an der Arbeit der „Aktion Zivilcourage“, die von engagierten Jugendlichen vor rund 20 Jahren gegründet wurde. „Wir wollten Angst und Gewalt stoppen, Menschen zusammenbringen, die sich für eine offenere, freundlichere, wertschätzendere Gesellschaft einsetzen, von Bürgerinnen und Bürgern über die Polizei bis hin zum Bürgermeister.“
Was am Anfang, so Reißig weiter, viele „übertrieben“ fanden, ist mittlerweile zu einem mehrfach ausgezeichneten Akteur der gesellschaftspolitischen Bildung geworden. Heute hat der Verein mit seinen rund 150 Mitgliedern ein breites Spektrum an Angeboten, geht in Kitas und Schulen, lädt ein zu Workshops für Erwachsene und Veranstaltungen. „Wir fangen an mit Basiswissen über unser demokratisches System. Nach welchen Grundsätzen gehen wir zur Wahl? Wie läuft eine Wahl ab? Wir tauschen uns aber auch mit anderen Vereinen und Initiativen aus, beraten Kommunen und fördern den Austausch.“
Mit der Kampagne „Sachsen ist bunt“ werben sie im Vorfeld der Landtagswahl in den ländlichen Regionen dafür, für Respekt, Menschlichkeit und Demokratie einzutreten. Für das Programm „Ich bin wählerisch“ bildet der Verein sachsenweit 150 Schülerinnen und Schüler aus, die in Schulklassen für Demokratie und Pluralismus werben. „Da stoßen wir nicht auf Vorbehalte oder Widerstand, sondern rennen offene Türen ein, gerade bei den jungen Menschen. Wir erhalten mehr Anfragen als wir bewältigen können.“
MIT GEMISCHTEN GEFÜHLEN
„Der Rechtsruck ist nicht nur in Sachsen ein Thema, sondern in Europa und der Welt“, sagt Sebastian Reißig. Der Landtagswahl am 1. September sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen: „Ich wünsche mir eine stabile, konstruktiv arbeitende Regierung und dass das Interesse an politischen Themen quer durch alle politischen Lager erhalten bleibt. So entwickelt sich Sachsen zu einem lebendigen Debattenland, in dem wichtige gesellschaftliche Fragen kontrovers diskutiert werden können.“
Ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, werden die nächsten Wochen zeigen. Aus der Wahl am 1. September könnte die AfD erstmals als stärkste Kraft hervorgehen und Anspruch auf das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten erheben, während sich die SPD, aktuell Koalitionspartner der regierenden CDU, knapp oberhalb der 5-Prozent-Marke bewegt. Von diesen und den Ergebnissen der anderen Parteien hängt ab, wie bunt Sachsen nach der Wahl sein wird.