20. Juni 2025

Der konstruktive Blick nach vorn

Plus Icon Demokratie//Gesellschaft//

In Zeiten von gesellschaftlicher Spaltung lohnt es, das Verbindende in den Fokus zu rücken: Das zeigt die Organisation „More in Common“. Ein Gespräch mit Gründungsgeschäftsführerin Laura Krause über gesellschaftlichen Zusammenhalt, Brückenbauen und welche Herausforderungen es auf dem Weg zu einer verständnisvolleren Gesellschaft zu bewältigen gilt.

Zu sehen ist ein Netzwerk aus Menschen. Menschen stehen in getrennten Zonen.
Was trennt uns – und was vereint uns? Damit beschäftigt sich der Verein „More in Common“. © iStockphoto / Orbon Alija

Laura Krause, Sie sind Gründungsgeschäftsführerin von More in Common Deutschland. Was steckt hinter der Organisation?

Laura Krause

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Das Projekt More in Common entstand 2016 zeitgleich in Frankreich, Großbritannien und den USA, ausgelöst durch gesellschaftliche Spannungen wie Trumps Wahlsieg, das Brexit-Votum und Anschläge wie im Bataclan. Diese Ereignisse führten zu gesellschaftlicher Spaltung und erschwerten den Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen. Besonders prägend war der Mord an der britischen Abgeordneten Jo Cox, deren Freundeskreis zu den Gründer*innen zählt. Ihr berühmtes Zitat ‚We are far more united and have far more in common with each other than things that divide us‘ gab unserer Organisation den Namen „More in Common“. Als wir uns 2018 in Deutschland gründeten, wollten wir eine ähnliche Spaltung verhindern.

Wie gehen Sie das an?

Laura Krause

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Wir wollen mit unseren Studien ein realistisches Bild der gesellschaftlichen Dynamiken in Deutschland vermitteln. Wir analysieren, wo die gesellschaftlichen Trennlinien verlaufen und welche Themen die Menschen beschäftigen. Uns ist wichtig, nicht nur Konflikte und Unterschiede, sondern auch den ‚common ground‘ sichtbar zu machen. Unsere Forschung zeigt, dass es in nahezu jedem Themenbereich mehr Übereinstimmung gibt, als man aus der öffentlichen Debatte oder den Medien oft vermutet. Das möchten wir aufzeigen und diese Erkenntnisse für die praktische Arbeit nutzen.

Es geht nicht darum, dass alle immer einer Meinung sind, sondern um gesellschaftlichen Zusammenhalt.Bild eines Anführungszeichens

Laura Krause

Gründungsgeschäftsführerin More in Common Deutschland

Wie finden die Ergebnisse Ihrer Studien den Weg in die Praxis?

Laura Krause

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Ein Beispiel ist unsere Studie „Die andere deutsche Teilung“: Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung gilt als unsichtbar. Diese Menschen sind in der Öffentlichkeit wenig präsent, nicht aktiv auf Social Media, schreiben keine Leserbriefe und nehmen selten an Veranstaltungen teil. Sie sind dennoch da, machen sich Gedanken und sollten besser einbezogen werden. Wir erarbeiten deshalb mit Partner*innen, wie diese Gruppe erreicht werden kann – an welchen Alltagsorten oder mit welcher Form der Ansprache. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist unsere Studie zum Thema Ernährung und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Auch hier zeigen sich in der öffentlichen Debatte oft starke Gegensätze, zum Beispiel zwischen Fleischesser*innen und Veganer*innen. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass viele Menschen unabhängig von ihrer Ernährungsweise eigentlich ein gemeinsames Ziel haben: eine bessere Ernährung. Ihnen allen fehlen jedoch oft Zeit, Wissen oder Geld. Daraus ergeben sich neue Ansatzpunkte jenseits der vermeintlichen Konfliktlinien.

Wie können Brücken zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gebaut werden und warum ist das heute so essenziell?

Laura Krause

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Wir setzen an zwei zentralen Punkten an. Der erste ist Vertrauen – sowohl das Vertrauen in die Demokratie und Institutionen als auch in die Menschen um uns herum. Unsere Forschung zeigt, dass dieses Vertrauen heutzutage leidet und viele das Gefühl haben, in einer egoistischen Gesellschaft zu leben. Mit und durch unsere Partnerorganisationen stärken wir gezielt Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen. Durch den direkten Kontakt lassen sich Vorurteile abbauen und die mentalen Barrieren reduzieren. Zweitens nutzen wir die Erkenntnisse aus der Forschung, um Perspektivwechsel zu ermöglichen. Wir haben beispielsweise sechs gesellschaftliche Typen identifiziert und bieten ein Gesellschaftsquiz an, bei dem herausgefunden werden kann, zu welchem Typ man gehört. Das hilft, die eigene Sichtweise zu hinterfragen – denn ein Perspektivwechsel ist essenziell für Empathie und schafft neues Vertrauen. Gerade heute, in einer Zeit zahlreicher Krisen und Herausforderungen, halte ich es für besonders wichtig, dass unsere Gesellschaft fähig ist, gemeinsam Probleme zu lösen. Es geht nicht darum, dass alle immer einer Meinung sind, sondern um gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir müssen Konflikte konstruktiv bewältigen und gemeinsam Lösungen finden.

Welche konkreten Formate haben Sie entwickelt, um gesellschaftlichen Zusammenhalt aktiv mitzugestalten?

Laura Krause

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Da gibt es viele unterschiedliche Formate. Ein Beispiel ist, dass wir seit einiger Zeit intensiv daran arbeiten – auch mit Unterstützung der Nemetschek Stiftung – herauszufinden, welche Bedeutung der Arbeitsplatz als Begegnungsort und Unternehmen im Allgemeinen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben. Aus der Forschung wissen wir, dass zivilgesellschaftliche Formate oft ähnliche Zielgruppen erreichen. Das ist an sich nichts Schlechtes, dennoch wollen wir auch vielfältigere Gruppen ansprechen. Am Arbeitsplatz treffen oft sehr unterschiedliche Menschen aufeinander. Deshalb beschäftigen wir uns derzeit damit, wie Unternehmen zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beitragen können und welche Formate hierfür geeignet sind. Mit unseren Beratungsangeboten bringen wir also unsere Forschungsergebnisse gezielt zu Stiftungen, NGOs, zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie vermehrt auch in die Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Medien.

Uns ist wichtig, nicht nur Konflikte und Unterschiede, sondern auch den ‚common ground‘ sichtbar zu machen.Bild eines Anführungszeichens

Laura Krause

Gründungsgeschäftsführerin More in Common Deutschland

More in Common gibt es auch in Frankreich, Großbritannien, Polen, Spanien, USA und Brasilien. Wie sieht die Zusammenarbeit aus und gibt es internationale Beobachtungen in Studien?

Laura Krause

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Das Besondere an unserer Arbeit besteht darin, dass wir zwar als Team mit einer klaren Mission für die deutsche Gesellschaft agieren, aber gleichzeitig im ständigen und engen Austausch mit den internationalen Kolleginnen und Kollegen stehen. Schon bei unserer Gründung 2018 konnten wir von den Erfahrungen der bereits etablierten Teams aus den USA, Großbritannien und Frankreich profitieren, da wir so frühzeitig Entwicklungen und Parallelen in den Themen, wie beispielsweise das Vertrauen in den öffentlichen Rundfunk oder grenzübergreifende Desinformationskampagnen, erkennen konnten. Was mich besonders beeindruckt: Wir tauschen uns fortlaufend über internationale Beobachtungen aus und machen uns dadurch gegenseitig auf Trends und Herausforderungen aufmerksam. Dennoch achten wir darauf, dass unsere konkreten Maßnahmen immer individuell auf das jeweilige Land und dessen kulturelle und politische Besonderheiten zugeschnitten sind. Für mich ist dieser intensive Austausch ein großes Privileg. Die internationale Zusammenarbeit hilft also nicht nur beim fachlichen Abgleich und bei Synergieeffekten in Studien, sondern erweitert auch kontinuierlich meinen eigenen Horizont.

Welche gesellschaftlichen Entwicklungen machen Ihnen Mut, und wo sehen Sie weiterhin große Herausforderungen?

Laura Krause

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Was mir persönlich Mut macht und auch das Selbstverständnis unserer Organisation prägt, ist der konstruktive Blick nach vorn. Wir schauen immer, wo wir gestalten und Dinge positiv beeinflussen können. Ich sehe, dass viele Menschen Sorgen haben und nach Orientierung suchen. Zugleich dürfen wir nicht vergessen, dass wir in einem Land leben, in dem vieles möglich ist. Besonders im internationalen Vergleich wird mir immer wieder klar, wie viel Gestaltungsspielraum es in Deutschland gibt. Der Föderalismus eröffnet viele Möglichkeiten der Mitbestimmung und das starke gesellschaftliche Engagement trotz aller Probleme beeindruckt mich sehr. Gleichzeitig empfinden laut unserer Befragungen rund 80 Prozent der Menschen Deutschland als ungerecht. Das ist kein Zustand, mit dem wir uns arrangieren sollten. Wir müssen uns aber auch immer wieder bewusst machen, was hier gut läuft und was es zu bewahren gilt. Die eigentliche Kunst besteht für mich also eher darin, die Balance zu halten zwischen einer konstruktiv-kritischen Haltung und dem wertschätzenden Blick auf das, was funktioniert.
Eine Gruppe im Austausch
© More in Common / Frederik Lorenz

Über Laura-Kristine Krause

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Laura-Kristine Krause war von 2018 bis Mitte Mai 2025 Gründungsgeschäftsführerin von More in Common Deutschland. Seit fast 20 Jahren engagiert sie sich zudem in der internationalen Jugendarbeit und ist Beirätin der Schöpflin Stiftung, Mitglied des ZDF-Fernsehrats und Yale World Fellow.

Hinweis der Redaktion: Laura Krause hat die Organisation im Mai 2025 verlassen und ist nicht weiter Geschäftsführerin. Das Interview entstand vorab.

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