19. Juli 2023

Die politischen Köpfe von morgen entdecken

Plus Icon Bildung//Demokratie//

JoinPolitics fördert politische Talente – mit finanzieller Förderung, einem großen Netzwerk und ganz viel Wissen. Neuer Kooperationspartner der Talentschmiede ist die Nemetschek Stiftung. Philip Husemann, Co-Geschäftsführer von JoinPolitics, erzählt im Interview, was mit der Kooperation geplant ist.

Gruppenbild von fröhlichen Menschen, eine Frau trägt ein Baby, einige Personen winken in die Kamera.
Gute Stimmung bei JoinPolitics: Beim Community Event kommen junge Politik-Talente und ihre Förderer zusammen. ©Frederike van der Straeten

Seit 2020 fördert JoinPolitics politische Talente. Was gab den Impuls für die Gründung?

Philip Husemann

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Alle an der Gründung Beteiligten wurden im Horrorjahr 2016 stark politisiert: Damals wurde der Brexit beschlossen, Donald Trump gewann die Wahl zum US-Präsidenten und weltweit war ein Aufstieg des Rechtspopulismus zu beobachten. Wir spürten, dass da etwas ins Wanken geraten, dass die Demokratie in Gefahr war.

Was möchten Sie mit Ihrer Initiative bewirken?

Philip Husemann

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Wir möchten die klügsten Köpfe, die es da draußen gibt, unterstützen, in die Politik zu gehen. Damit diese Talente nicht nur in der Wirtschaft, in NGOs oder Beratungsagenturen arbeiten. Wir wollen, dass sie sagen: Ich gehe in die Politik, dort kann ich etwas bewirken. Denn wo kann man sich stärker für das Gemeinwohl einsetzen und mehr gestalten als in der Politik? Und ich denke, dass es der Demokratie besonders guttun kann und sie vitalisiert, wenn wirklich talentierte, ideenreiche Menschen politische Aufgaben wahrnehmen.

Haben Sie selbst schon mit dem Gedanken gespielt, in die Politik zu gehen?

Philip Husemann

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Ich denke, es ist auch ein Typfrage. Ich fühle mich wahnsinnig wohl dabei, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Talente auszuleben. Und neben den wirklichen „Political Animals“, also den politischen Naturtalenten, braucht es eben auch Leute, die sie unterstützen – und das ist meine große Leidenschaft.

Wie arbeitet JoinPolitics?

Philip Husemann

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Wir schreiben alle sechs Monate eine neue Förderphase aus. Interessierte können sich mit ihrem Vorhaben, ihrer Herzensidee bewerben. Teil des Bewerbungsprozesses sind Workshops und eine enge Begleitung. Geförderte erhalten dann neben unserer Expertise und dem Kontakt zu unserem Netzwerk bis zu 50.000 Euro für sechs Monate. Nicht alle rufen die ganze Summe ab. Davon können die Lebenshaltungskosten der Teammitglieder bezahlt werden, sowie Reisekosten, Fortbildungen oder der Aufwand für Infrastruktur wie Büros oder Fahrtkosten. Damit sollen sich die Talente voll auf ihr Vorhaben konzentrieren zu können.

Der Anspruch an Bewerber*innen ist nicht gerade klein. Sie sollen nichts weniger als „die großen Fragen unserer Zeit“ erkennen. Wie ist die Resonanz auf Ihr Angebot bei den jungen Talenten?

Philip Husemann

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Die Resonanz ist sehr groß, obwohl wir tatsächlich sehr viel verlangen. Pro Runde erhalten wir bis zu 100 Bewerbungen. Das finden wir super, vor allem, weil wirklich jedes Mal sehr, sehr starke Bewerbungen dabei sind, sodass wir immer die Qual der Wahl haben. Ich kann also sagen: Die Talente gehen nicht aus!

„Wir möchten die klügsten Köpfe, die es da draußen gibt, unterstützen, in die Politik zu gehen.“Bild eines Anführungszeichens

Philip Husemann

Co-Geschäftsführer von JoinPolitics

Wie läuft das Auswahlverfahren?

Philip Husemann

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Wir haben einen mehrstufigen Prozess entwickelt, der in einen sogenannten Pitch Day mündet, wo die besten Bewerber*innen nacheinander antreten und ihr Herzensthema pitchen. Unser Talent-Komitee wählt dann meistens fünf bis zehn Personen für die Förderung aus. Die Geförderten können ihre Ideen umsetzen, validieren und sich um eine weitere, noch intensivere Förderphase bewerben. Wir nennen es die „Growth-Phase“, wenn ein Vorhaben zum großen politischen Erfolg führt oder in die finanzielle Eigenständigkeit. Bei dieser Anschlussfinanzierung für außergewöhnlich erfolgreiche Talente stellen wir bis zu 150.000 Euro für einen Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten zur Verfügung.

Sie sind Co-Geschäftsführer bei JoinPolitics und „Talent-Partner“. Was sind Ihre Aufgaben?

Philip Husemann

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Bei JoinPolitics arbeiten derzeit fünf Personen in Vollzeit. Deshalb agieren wir auch in der Geschäftsführung sehr operativ, sind voll drin im Geschäft. Ich begleite die Talente beispielsweise von Anfang an, das sieht so aus, dass ich die circa zehnköpfige Scoutingcrew anleite, als Mentor und für die Talente zur Verfügung stehe. Ich bin zudem Teil des fünfköpfigen Talent-Komitees, des Gremiums, das die Bewerbungsgespräche führt und am Pitch Day die finale Förderentscheidung trifft.  Die Mitglieder haben alle ein sehr gutes Verständnis von Politik und Gesellschaftspolitik. Julius van de Laar, der auch für Barack Obama gearbeitet hat, ist beispielsweise unser Experte fürs politische Campaigning. Caroline Weimann verfügt über große Erfahrungen im Aufbau von Social Startups, Lamia Faqirzada-Özal hat sehr viel interkulturelle Expertise und Dr. Frederike Masemann ist unsere Strategieberaterin. Ich selbst fühle mich insbesondere auf dem Feld der politischen Kommunikation sehr wohl.

Sie haben bereits 28 Talente gefördert. Die Geförderten haben unter anderem ein „Female Talents Program“ gestartet, sich bei der Hessischen Landtagswahl eingebracht, bei der Bremer Bürgerschaft kandidiert oder ein Positionspapier gegen Cybermobbing entwickelt. Welches Projekt hat Sie bisher am stärksten beeindruckt?

Philip Husemann

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Ich bin immer wieder beeindruckt von den Persönlichkeiten, von ihrer Durchsetzungskraft und intrinsischen Motivation. Das gilt für alle Talente. Deshalb fällt es mir schwer, eine Person herauszupicken. Was mich immer wieder beeindruckt, ist das Engagement von Luca Piwodda. Er lebt in einer 1.200-Einwohner-Stadt in Brandenburg, an der Grenze zu Polen. Es ist eine sogenannte strukturschwache Region und er kämpft dort tagtäglich gegen den Rechtspopulismus und rechte Parteien. Er hat in jungen Jahren die SPD verlassen und dann mit 18 eine eigene Partei gegründet. Mit der hat er eine Bürgermeisterkandidatin aufgestellt, die gegen Lucas eigenen Großvater angetreten ist – und gewonnen hat. Er hat eine junge Partei für junge Menschen in Ostdeutschland gegründet, sehr auf lokale Themen bedacht. Er sagt, er macht viel Dorfpolitik und das ist auch so. Er kümmert sich wirklich um die Belange der Menschen vor Ort, will 2024 selbst Bürgermeister werden. Bei Luca gefällt mir auch, dass er alles, was wir ihm anbieten, wie ein Schwamm aufsaugt. Da ist er unersättlich, besucht fast jeden Workshop. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig neben dem Geld auch die inhaltliche Förderung ist, das spiegeln uns alle Talente. Elementar wichtig sind die Trainings und das Netzwerk. Denn das ermöglich ihnen eigentliche erst wirklich Politik zu machen. Und bei Luca hat man diesen Effekt besonders gespürt.

„Ich bin immer wieder beeindruckt von den Persönlichkeiten, von ihrer Durchsetzungskraft und intrinsischen Motivation.“Bild eines Anführungszeichens

Philip Husemann

Co-Geschäftsführer von JoinPolitics

Sie wollen das politische Personal der Zukunft aufstellen. Eine Kritik an den jetzigen Akteuren, vor allem auf Bundesebene, ist mangelnde Diversität. Viele Abgeordnete im Bundestag haben einen Abschluss in Jura, Handwerker gibt es kaum, Mütter sind seltener vertreten als Väter, auch hinsichtlich Kultur und Religion mangelt es an Vielfalt. Wie halten Sie es mit der Diversität?

Philip Husemann

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Diversität ist uns enorm wichtig, deshalb ist sie auch in unserer Werte-Charta festgehalten. Um möglichst viele verschiedene Erfahrungen, Fähigkeiten und Perspektiven einzubinden, scouten wir selbst aktiv. Wir gehen gezielt etwa in migrantische Communitys, richten unser Netzwerk darauf aus, auch solche Talente ausfindig zu machen, die nicht über die üblichen Wege von uns hören oder von selbst darauf kommen, sich zu bewerben. Außerdem müssen unsere Gremien alle paritätisch besetzt sein, wir haben eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent festgeschrieben. Um Generationengerechtigkeit herzustellen, gibt es keine Altersgrenze beim Bewerbungsprozess.

Wie kam die Kooperation mit der Nemetschek Stiftung zustande?

Philip Husemann

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Ich habe als Panelist auf einer Veranstaltung der Stiftung gesprochen: Bei „Wer, wenn nicht wir“, in Tutzing, wo es politische Beteiligung geht. Das hat so gut gepasst, daraus hat sich dann mehr ergeben.

Welche Vorhaben können Sie mit der Kooperation umsetzen?

Philip Husemann

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Wir möchten vor allem den Community-Bereich ausbauen. Beispielsweise haben wir festgestellt, dass auch unter den Bewerber*innen, die nicht weiterkommen, sehr vielversprechende Talente sind, die oft einfach noch nicht so weit waren, denen noch der ein oder Zwischenschritt gefehlt hat, vielleicht Erfahrung oder der richtige Moment, um politisch aktiv zu werden. Hier wollen wir künftig ansetzen und diesen Bewerber*innen weiterführende Angebote machen.

Wie könnten solche Angebote aussehen?

Philip Husemann

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Eine unserer Ideen ist der politische „Kopfsprung“. Das wird ein neues Eventformat, finanziert mit Mitteln der Nemetschek Stiftung, das sich an Leute wendet, die noch prüfen, ob Politik ihr Ding ist. Bei diesem Findungsprozess helfen wir ihnen – natürlich in der Hoffnung, dass sich aus diesem Event heraus auch wieder Personen finden, die später sagen: Ich bin der größte Fan von Politik, ich will da was reißen.

Ein weiteres Format im Community-Bereich sind die sogenannten Political-Impact-Workshops. Mit 20-30 Teilnehmenden üben wir relativ spielerisch politische Ideenentwicklung. Wer mitmacht, überlegt sich, welches Thema ihm wirklich am Herzen liegt und wie man das politisch angehen könnte. Das Angebot richtet sich vor allem an junge Leute, wir gehen an Universitäten, kooperieren aber auch mit anderen Organisationen. So nehmen Stipendiat*innen der START-Stiftung teil, die erst zwischen 16 und 18 Jahren alt sind. Das sind Community-Angebote, die wir künftig noch ausbauen möchten. Dafür hatten wir bisher keine Kapazitäten und freuen uns deshalb über die Kooperation mit der Nemetschek Stiftung, die das auch ermöglicht.

Mit Leidenschaft unterstützt Philip Husemann politische Naturtalente. ©Frederike van der Straeten

Über Philip Husemann

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Philip Husemann ist Geschichtswissenschaftler und hat bereits zahlreiche Erfahrungen als Pressesprecher und in der politischen Kommunikation gesammelt. Unter anderem war er Mitinitiator von HateAid, einer Organisation für Teilhabe und gegen Gewalt im Netz und war Geschäftsführer des Vereins Initiative Offene Gesellschaft e. V.

Über JoinPolitics

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JoinPolitics wurde 2020 von Caroline Weimann gegründet. Inzwischen besteht das Team aus fünf Festangestellten, hinzu kommen Scouts, studentische Mitarbeitende und Volunteers sowie Unterstützer*innen wie die Mitglieder des Talent-Komitees sowie Fellows aus dem Netzwerk. Bisher wurden 28 Talente in vier Kohorten gefördert. Werte und Grundsätze sind in einer Charta zusammengefasst, Grundpfeiler sind Überparteilichkeit, Zukunftsorientierung, Brückenbauen sowie eine klare Haltung gegen Antidemokraten. Seit 2023 ist die Nemetschek Stiftung Kooperationspartner von JoinPolitics.

Silke Zimmermann, Kuratorin und Programmleiterin, Mitglied des Vorstands

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„Lebendige Demokratie braucht Information, Bildung, Austausch – aber am Ende eben auch couragierte Menschen, die sich in den politischen Strukturen engagieren möchten. Durch die Kooperation mit JoinPolitics können wir dazu beitragen, dass mehr Menschen den Mut finden, einen Weg in die Politik anzustreben und die Gesellschaft konkret mitzugestalten. Wenn es gelingt, mit diesem Projekt auch diejenigen zu erreichen, die bisher den letzten Schritt noch nicht gewagt haben, dann wird das die Demokratie in Deutschland noch vielfältiger und damit auch wieder Bürger*innen-näher machen.“