18. Dezember 2024

Eine Frage des Vertrauens

Plus Icon Demokratie//Wahlen//

Am 11. Dezember hat Bundeskanzler Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt – und wie geplant ein klares „Nein“ kassiert. Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Vertrauensfrage als Trick, um Neuwahlen herbeizuführen. Im Kurzinterview dazu Max Steinbeis, Gründer des Verfassungsblogs.

© iStock / Christian Ader

Im Bundestag wurde die Vertrauensfrage bisher fünfmal gestellt. Artikel 68 des Grundgesetzes erlaubt diesen Schritt, wenn der Kanzler den Weg für Neuwahlen freimachen will. Am 11. Dezember hat Scholz diese Option genutzt – und das Scheitern war Teil seines Plans. Seine rot-grüne Regierung hatte keine Mehrheit mehr, und ohne die Unterstützung der Opposition auch keinen politischen Handlungsspielraum. Mit der verlorenen Vertrauensfrage hat Scholz nun aktiv Neuwahlen in die Wege geleitet.

Vertrauen oder Misstrauen?

Im Grundgesetz sind zwei Möglichkeiten angelegt, Deutschland vor einer Regierungskrise ohne klare Führung zu schützen: Die Vertrauensfrage und das konstruktive Misstrauensvotum. Sie sehen auf den ersten Blick gegensätzlich aus, haben aber denselben Zweck. Während das Misstrauensvotum ein Werkzeug des Bundestags ist, nutzt der Kanzler die Vertrauensfrage als strategisches Druckmittel.

Gerhard Schröder (SPD) hat sich gleich zweimal dieses Mittels bedient, 2001 und 2005 – und zwar in der sogenannten „unechten Vertrauensfrage“. Dabei geht es weniger darum, das Vertrauen zu gewinnen, sondern darum, es offiziell zu verlieren, um Neuwahlen zu ermöglichen. Ursprünglich hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes wahrscheinlich im Sinn, dass die Vertrauensfrage dem Staatsoberhaupt wirklich Rückendeckung bringen sollte. Doch Schröder und jetzt Scholz drehten das Prinzip auf den Kopf. Das Bundesverfassungsgericht erklärte Schröders Vorgehen 2005 übrigens für rechtlich in Ordnung. Auch Willy Brandt (1972), Helmut Schmidt (1982) und Helmut Kohl (ebenfalls 1982) stellten die Vertrauensfrage.

Wie geht’s jetzt weiter?

Nach dem gescheiterten Vertrauensvotum hat Scholz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat er drei Wochen Zeit – Deadline ist der 6. Januar 2025. Die Neuwahlen müssen dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden, und als Termin steht der 23. Februar 2025 fest. Bis zur Wahl bleibt der aktuelle Bundestag im Amt, mit allen Rechten und Pflichten. Das heißt, das Parlament kann weiter tagen, Gesetze verabschieden und Gremien wie Untersuchungsausschüsse bleiben bestehen. Auch die Regierung bleibt voll handlungsfähig – nicht nur geschäftsführend. Erst wenn der neue Bundestag zusammenkommt, endet laut Artikel 69 des Grundgesetzes die Amtszeit des Kanzlers und seines Kabinetts.

Mit der Vertrauensfrage kann der Kanzler die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag feststellen.Bild eines Anführungszeichens

Max Steinbeis

Gründer des Verfassungsblogs

Herr Steinbeis, ist die im Grundgesetz verankerte Vertrauensfrage ein sinnvolles Instrument in politisch schwierigen Zeiten?

Max Steinbeis

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Mit der Vertrauensfrage kann der Kanzler die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag feststellen. Der Kanzler verdankt seine Macht der sogenannten Kanzlermehrheit, also der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags, die ihn gewählt haben. Wenn er die nicht mehr hinter sich hat, kann er den Weg für Neuwahlen frei machen. Die Vertrauensfrage ist das Instrument dafür.

Hätte es nach dem Koalitionsbruch einen anderen Weg gegeben?

Max Steinbeis

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Theoretisch wäre auch eine Minderheitsregierung eine Option gewesen. Auf Landesebene hatten wir das schon die vergangenen fünf Jahre in Thüringen. Ständig bei der Opposition anzuklopfen, um eigene Themen durchzubekommen, ist mühselig. Mit eigenen Mehrheiten kann man natürlich besser gestalten. Und von einer Opposition zu erwarten, brav und fleißig am reibungslosen Funktionieren des Parlaments- und Regierungsgeschäfts mitzuwirken, hieße, sie ihrer Funktion zu berauben. Olaf Scholz hätte auch direkt zurücktreten können, aber das wäre politisch viel riskanter gewesen.

Sie und Ihr Team haben mit dem Thüringen-Projekt recherchiert, welche Möglichkeit eine Partei auf Landesebene hat, das Grundgesetz zu schwächen. Nehmen Sie auch die Bundesebene in den Fokus?

Max Steinbeis

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Im Projekt Bundesrepublik wollen wir herausfinden, wo autoritäre Populisten ansetzen könnten und wer was dagegen tun kann. Das betrifft den Bund genauso wie die Länder. Wir wollen genauer hinschauen, wie ihre Strategien unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat beeinflussen können: Was bedeutet das für die Justiz, für die Parlamente, für die Regierung und für uns als Gesellschaft? Dabei geht es uns nicht so sehr darum, die Verfassung gegen alles Vorstellbare abzudichten, sondern es geht um Vorbereitung. Am besten wissen wir schon vorher, wo der Rechtsstaat angegriffen werden kann, und haben einen Plan in der Tasche, wie wir ihn verteidigen. Aber so einen Plan muss man rechtzeitig machen – solange noch Zeit dafür ist. Es geht darum, früh zu handeln, bevor es wirklich brenzlig wird. Und da sind alle gefragt: Juristinnen und Juristen, Lehrerinnen und Lehrer, und überhaupt alle Menschen in diesem Land.
© Maurice Weiß / Ostkreuz

Über Max Steinbeis

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Max Steinbeis, Gründer des Max Steinbeis Verfassungsblogs, hat aktuell das Buch Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme (München 2024) veröffentlicht. Sein Projekt www.verfassungsblog.de will unter anderem die breite Öffentlichkeit erreichen und klarmachen, wie wichtig es ist, die deutsche Verfassung zu schützen. Gemeinsam mit seinen Mitstreiter*innen hat er unter anderem im Thüringen Projekt herausgearbeitet, wo autoritäre Populisten ansetzen können, um an starke Machtmittel zu kommen. Das Projekt Bundesrepublik verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Was tun, wenn Autoritäre gewinnen? Bund und Länder sollten dann vorbereitet sein!