Im Bundestag wurde die Vertrauensfrage bisher fünfmal gestellt. Artikel 68 des Grundgesetzes erlaubt diesen Schritt, wenn der Kanzler den Weg für Neuwahlen freimachen will. Am 11. Dezember hat Scholz diese Option genutzt – und das Scheitern war Teil seines Plans. Seine rot-grüne Regierung hatte keine Mehrheit mehr, und ohne die Unterstützung der Opposition auch keinen politischen Handlungsspielraum. Mit der verlorenen Vertrauensfrage hat Scholz nun aktiv Neuwahlen in die Wege geleitet.
Vertrauen oder Misstrauen?
Im Grundgesetz sind zwei Möglichkeiten angelegt, Deutschland vor einer Regierungskrise ohne klare Führung zu schützen: Die Vertrauensfrage und das konstruktive Misstrauensvotum. Sie sehen auf den ersten Blick gegensätzlich aus, haben aber denselben Zweck. Während das Misstrauensvotum ein Werkzeug des Bundestags ist, nutzt der Kanzler die Vertrauensfrage als strategisches Druckmittel.
Gerhard Schröder (SPD) hat sich gleich zweimal dieses Mittels bedient, 2001 und 2005 – und zwar in der sogenannten „unechten Vertrauensfrage“. Dabei geht es weniger darum, das Vertrauen zu gewinnen, sondern darum, es offiziell zu verlieren, um Neuwahlen zu ermöglichen. Ursprünglich hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes wahrscheinlich im Sinn, dass die Vertrauensfrage dem Staatsoberhaupt wirklich Rückendeckung bringen sollte. Doch Schröder und jetzt Scholz drehten das Prinzip auf den Kopf. Das Bundesverfassungsgericht erklärte Schröders Vorgehen 2005 übrigens für rechtlich in Ordnung. Auch Willy Brandt (1972), Helmut Schmidt (1982) und Helmut Kohl (ebenfalls 1982) stellten die Vertrauensfrage.
Wie geht’s jetzt weiter?
Nach dem gescheiterten Vertrauensvotum hat Scholz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat er drei Wochen Zeit – Deadline ist der 6. Januar 2025. Die Neuwahlen müssen dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden, und als Termin steht der 23. Februar 2025 fest. Bis zur Wahl bleibt der aktuelle Bundestag im Amt, mit allen Rechten und Pflichten. Das heißt, das Parlament kann weiter tagen, Gesetze verabschieden und Gremien wie Untersuchungsausschüsse bleiben bestehen. Auch die Regierung bleibt voll handlungsfähig – nicht nur geschäftsführend. Erst wenn der neue Bundestag zusammenkommt, endet laut Artikel 69 des Grundgesetzes die Amtszeit des Kanzlers und seines Kabinetts.
Mit der Vertrauensfrage kann der Kanzler die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag feststellen.
Max Steinbeis
Gründer des Verfassungsblogs
Herr Steinbeis, ist die im Grundgesetz verankerte Vertrauensfrage ein sinnvolles Instrument in politisch schwierigen Zeiten?
Max Steinbeis
Hätte es nach dem Koalitionsbruch einen anderen Weg gegeben?
Max Steinbeis
Sie und Ihr Team haben mit dem Thüringen-Projekt recherchiert, welche Möglichkeit eine Partei auf Landesebene hat, das Grundgesetz zu schwächen. Nehmen Sie auch die Bundesebene in den Fokus?
Max Steinbeis
Über Max Steinbeis
Max Steinbeis, Gründer des Max Steinbeis Verfassungsblogs, hat aktuell das Buch Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme (München 2024) veröffentlicht. Sein Projekt www.verfassungsblog.de will unter anderem die breite Öffentlichkeit erreichen und klarmachen, wie wichtig es ist, die deutsche Verfassung zu schützen. Gemeinsam mit seinen Mitstreiter*innen hat er unter anderem im Thüringen Projekt herausgearbeitet, wo autoritäre Populisten ansetzen können, um an starke Machtmittel zu kommen. Das Projekt Bundesrepublik verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Was tun, wenn Autoritäre gewinnen? Bund und Länder sollten dann vorbereitet sein!