13. Juni 2025

Für die, die den Unterschied machen

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In Ostdeutschland gewinnen antidemokratische Kräfte zunehmend an Einfluss. Eine Entwicklung, der zahlreiche engagierte Menschen entgegentreten. Hier setzt die Gemeinschaftsinitiative „Zukunftswege Ost“ an und schafft mit ihren Förderungen neue Denk- und Handlungsspielräume. Ein Gespräch mit Mit-Initiatorin Dr. Eva Sturm.

Die Initiative „Zukunftswege Ost“ unterstützt Menschen im Osten Deutschlands, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratiebildung stark machen. © iStockphoto / Orbon Alija

Frau Dr. Sturm, Sie sind Vorständin der Cellex Stiftung und Teil der Gemeinschaftsinitiative Zukunftswege Ost. Was steckt hinter der Initiative? Welche Ziele verfolgt diese?

Dr. Eva Sturm

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Der Anstoß für Zukunftswege Ost kam 2022 vom ehemaligen Ostbeauftragten Carsten Schneider, der Stiftungen ins Bundeskanzleramt einlud, um sie für ein stärkeres Engagement in Ostdeutschland zu gewinnen – da es dort eine vergleichsweise geringe Anzahl an Stiftungen gibt. Anders als bei vielen anderen Gesprächen blieb es hier nicht bei Absichtserklärungen: Aus dem Treffen entstand eine kleine Steuerungsrunde, bestehend aus dem Bundesverband Deutscher Stiftungen und vier seiner Mitgliedsstiftungen – darunter neben der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, der Freudenberg Stiftung, der Stiftung Bürger für Bürger aus Halle auch die Cellex Stiftung. In den darauffolgenden anderthalb Jahren haben wir intensiv mit engagierten Menschen vor Ort gesprochen, um die Initiative bedarfsorientiert zu entwickeln. Unser Ziel ist es, Menschen in ländlichen Regionen Ostdeutschlands zu stärken, die sich für demokratische Kultur einsetzen. Dafür bündeln wir private Mittel und stellen diese Engagierten vor Ort unbürokratisch zur Verfügung.

Wie erleben Sie die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, insbesondere im ländlichen Raum?

Dr. Eva Sturm

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Gesellschaft wandelt sich stetig. Die aktuellen Entwicklungen sind keine plötzlichen Phänomene, sondern Ergebnis langfristiger Verschiebungen – auch im politischen Diskurs. Das gesellschaftliche Klima hat sich spürbar verändert, besonders für Menschen, die sich im ländlichen Raum für Demokratie engagieren oder aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder sexueller Identität angefeindet werden. Diese Menschen werden gezielt marginalisiert und ausgegrenzt – eine bekannte Strategie, um deren Stimme zu schwächen und gesellschaftliche Mehrheiten zu verschieben. Umso wichtiger ist es, dass es im ländlichen Raum Menschen und Initiativen gibt, die dem mit vielfältigen, solidarischen Angeboten entgegenwirken.

Im Osten Deutschlands ist die Situation mit Blick auf den Zuspruch zur Demokratie besonders herausfordernd. Bild eines Anführungszeichens

Dr. Eva Sturm

Mit-Initiatorin Zukunftswege Ost

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich zu engagieren?

Dr. Eva Sturm

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Mir liegen eine offene Gesellschaft, Pluralismus und unsere Demokratie sehr am Herzen. Wer sich an die PEGIDA-Bewegung 2015 und die damit verbundenen Demonstrationen auf den Dresdener Straßen erinnert, der kann sich vorstellen, dass das die Stimmung in der Stadt enorm verändert hat. In Dresden, in Sachsen zu leben, heißt für mich auch, eine besondere Verantwortung zu haben, nämlich sich mit den skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen – in der Rolle als Vorständin einer Stiftung und als Privatperson. Die Motivation ist also eine sehr intrinsische. Denn aus meiner Sicht ist die Demokratie die beste Staatsform und die gilt es zu verteidigen. Auch wenn das einige anders sehen.

Welche gesellschaftlichen Herausforderungen sehen Sie insbesondere im Osten Deutschlands?

Dr. Eva Sturm

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Im Osten Deutschlands ist die Situation mit Blick auf den Zuspruch zur Demokratie besonders herausfordernd. Es gibt demokratisch gewählte, aber antidemokratisch agierende Kräfte, die in Kommunal- und Landesparlamenten sitzen – zum Teil mit Mehrheiten. Das verändert das politische Klima spürbar – nicht nur regional, sondern bundesweit. Ein weiterer zentraler Punkt ist das strukturelle Ungleichgewicht: Nur etwa 7,4 Prozent (Stand Dezember 2023) aller deutschen Stiftungen haben ihren Sitz in Ostdeutschland. Das hat historische Gründe, aber es wirkt sich bis heute aus – denn viele Stiftungen arbeiten zunächst lokal. Dazu kommt: Es gibt hier auch weniger große Unternehmen mit Sitz in der Region. Das heißt, es gibt weniger private Mittel, obwohl gerade in Ostdeutschland ein besonders hoher Bedarf besteht – vor allem für Projekte rund um demokratische Kultur und ein friedliches Miteinander. Diese Projekte sind oft stark auf öffentliche Gelder angewiesen, die jedoch durch Haushaltssperren oder Kürzungen immer unsicherer werden. Deshalb braucht es zusätzlich private Förderung, die wir mit unserer Initiative bereitstellen wollen. Denn trotz allem sehe ich viele engagierte, mutige Menschen vor Ort, die mit Kreativität und Tatkraft Probleme anpacken. Dieses „Einfach machen“-Mindset beeindruckt mich sehr und genau diese Menschen wollen wir mit Zukunftswege Ost unterstützen – weil sie für mich den Unterschied machen.

Wie genau sieht diese Unterstützung aus?

Dr. Eva Sturm

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Im letzten Jahr haben wir gezielt an einem Förderkonzept gearbeitet, das sich stark an den tatsächlichen Bedarfen vor Ort orientiert, und einen Gemeinschaftsfonds mit drei Säulen ins Leben gerufen. Im Juli 2024 haben wir mit der 1. Säule begonnen, die lokale, oft spontane Projekte im ländlichen Raum unterstützt – ein niedrigschwelliges Mikrofunding mit bis zu 5.000 Euro pro Initiative. Es geht dabei um Begegnung, Teilhabe und demokratische Bildung, um Gemeinschaft und gemeinsames Erleben. Darüber hinaus haben wir eine 2. Säule, einen Strukturfonds, ins Leben gerufen, der professionelle Träger in sogenannten Fokusregionen – wie Saalfeld-Rudolstadt oder Ost-Vorpommern – fördert. Diese Regionen stehen vor besonderen Herausforderungen. Dort unterstützen wir jährlich mit rund 100.000 Euro. Wir möchten lokale Akteur*innen befähigen, neue Kooperationen zu knüpfen und positive Zukunftsszenarien für die eigene Region zu entwickeln. Hinzu kommt unser neuester Fonds, die 3. Säule: der „Gen Ost Jugendfonds“. Ziel ist es, junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren im ländlichen Ostdeutschland zu motivieren, eigene Projektideen einzureichen und selbst umzusetzen. Das Besondere: Über die Anträge entscheidet eine Jugendjury – also junge Menschen aus ganz Ostdeutschland. Sie übernehmen Verantwortung für die Auswahl und die Bewertung. Die erste Bewerbungsrunde läuft noch, aber wir hoffen sehr, dass dieses Format echte Teilhabe schafft und die Eigenverantwortung junger Menschen auf eine ganz neue Art stärkt.

Es braucht Menschen, die bleiben, Verantwortung übernehmen und ihre Region mitgestalten wollen. Bild eines Anführungszeichens

Dr. Eva Sturm

Mit-Initiatorin Zukunftswege Ost

Welche Chancen sehen Sie in insbesondere im Ansatz der Mikro-Förderung?

Dr. Eva Sturm

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Diese Form der Förderung richtet sich vor allem an kleinere Initiativen im ländlichen Raum, die unkompliziert Fördergeld beantragen können. Die Projekte sind vielfältig und reichen von Kultur- und Sportangeboten über Sichtbarmachung demokratischer Prozesse bis hin zu gemeinschaftsstiftenden Aktionen wie einem selbstgebauten Pizzaofen für das Dorf oder einem sanierten Jugendbus. Der Fokus liegt immer auf Austausch, Teilhabe und der Stärkung demokratischer Kultur. Gerade für engagierte Menschen vor Ort, denen andere Förderprogramme oft zu bürokratisch sind, ist diese Form niedrigschwelliger Unterstützung enorm wertvoll – das zeigt auch der große Zuspruch mit bereits 174 geförderten Projekten.

Wie können wir in der Zukunft noch mehr Menschen dazu bewegen, sich für unsere Demokratie einzusetzen?

Dr. Eva Sturm

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Menschen für unsere Demokratie zu gewinnen, gelingt vor allem durch niedrigschwellige, einladende Angebote, die niemanden ausschließen – weder sprachlich noch strukturell. Wichtig ist, aktiv auf Menschen zuzugehen, besonders in Regionen, in denen demokratisches Engagement herausfordernd ist. Diese Arbeit ist langwierig und kleinteilig, denn Veränderungen geschehen nicht über Nacht. Es braucht Menschen, die bleiben, Verantwortung übernehmen und ihre Region mitgestalten wollen. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass zivilgesellschaftliche Projekte politische Versäumnisse nicht kompensieren können. Sie können jedoch Zugehörigkeit stiften, stärken, was vor Ort möglich ist – und damit Mut machen, sich einzubringen. Wichtig ist mir auch zu sagen: Viele Menschen engagieren sich längst. Sie bauen zivilgesellschaftliche Strukturen auf, schaffen Orte der Gemeinschaft, gründen Bildungsinitiativen. Sie brauchen keine Entwicklungshilfe, sondern Sichtbarkeit, Gehör und solidarische Unterstützung.
© Anja Schneider

Über Dr. Eva Sturm

Pfeil

Dr. Eva Sturm ist Vorständin der Cellex Stiftung, Mit-Initiatorin von Zukunftswege Ost und Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Stiftungen. Bei Zukunftswege Ost ist sie Teil der fünfköpfigen Steuerungsrunde, die das Förder-Portfolio der Initiative entwickelt.

Mehr über Infos über Zukunftswege Ost gibt’s hier.