19. Juni 2023

Von Bewegung und Gegenbewegung: Bürgerprotest im Wandel

Plus Icon Demokratie//Gesellschaft//

Als Herausgeber des Forschungsjournals Soziale Bewegungen und Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement beobachtet Dr. Ansgar Klein die Entwicklung von Demonstrationskultur. Ein Gespräch über neue und alte Formen des Bürgerprotests, Gegenbewegungen und strategische Partnerschaften.

©istock/AJ_Watt

Welche neuen Formen des Bürgerprotests haben Sie in den letzten Jahren beobachtet?

Dr. Ansgar Klein

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Besonders die Corona-Pandemie hat den Bürgerprotest nachhaltig verändert. Durch die zunehmende Digitalisierung, die Beschränkung öffentlicher Versammlungen und damit auch die Einschränkung öffentlichen Protests haben Online-Plattformen und soziale Medien eine wichtige Rolle beim Austausch von Informationen über soziale und politische Themen eingenommen. Formen des digitalen Protests sind so in den letzten Jahren populär geworden. Protestbewegungen arbeiten vor allem dezentralisiert, entwickeln also informelle Organisationsstrukturen und sind sehr dynamisch. Die enge Verbindung von Online- und Offline-Aktivismus zeichnet diese neuen Protestformen aus. Und auch bei den neuen Formen des Bürgerprotests gibt es Gegenbewegungen und deren Unterwanderung von Rechten. Beispielsweise bei „Fridays for Future“ mit den entsprechenden Gegnerinitiativen.

Welche Auswirkungen haben die neuen Protestformen auf die Politik und die Gesellschaft im Allgemeinen?

Dr. Ansgar Klein

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Protestbewegungen erhöhen durch mediale Aufmerksamkeit bis in die Massenmedien, den Einsatz digitaler Medien und die Nutzung sozialer Netzwerke ihre Sichtbarkeit und Reichweite in der Gesellschaft. Die Bewegungen formulieren etwa auf den Online-Plattformen ihre Anliegen und generieren so öffentliche Aufmerksamkeit. Das machen sie vor allem dann, wenn sie den Eindruck haben, dass die staatlichen Akteure ihre Probleme nicht lösen. Sie können so dazu beitragen, den öffentlichen Diskurs zu bestimmten Themen zu verändern und dynamisieren auch die Agenda der Politik. Außerdem rücken progressive Formen des Protests, wie jüngst bei der „Letzten Generation“ beobachtet, neue Debatten über zivilen Ungehorsam und dessen Bewertung in den Fokus.

„Formen des digitalen Protests sind in den letzten Jahren populär geworden.“ Bild eines Anführungszeichens

Dr. Ansgar Klein

Gründungsgeschäftsführer Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement

Wie wird Bürgerprotest in der Gesellschaft wahrgenommen? Hat sich diese Wahrnehmung in den letzten Jahren verändert?

Dr. Ansgar Klein

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Wir haben eine Vielzahl an Protesten, die hoch widersprüchlich sind. Dementsprechend werden sie in der Gesellschaft auch ambivalent wahrgenommen. Es gibt natürlich immer Kritiker*innen von Protestbewegungen, die diese als störend empfinden, oder vereinzelte Gruppen, die die Bürgerrechte in diesem Aspekt sogar einschränken wollen. Die zuletzt beobachteten Protestformen, die Bürger*innen in ihrem Alltag, beispielsweise beim Autofahren behindern, begünstigen Aggressionsbildung und verursachen Ablehnung und Gegenmobilisierungen. Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass der Bürgerprotest an Toleranz gewonnen hat und als legitimer Teil einer Demokratie angesehen wird. Die öffentliche Wahrnehmung von Bürgerprotesten in der Gesellschaft wird aber nicht zuletzt auch wesentlich durch die Berichterstattung der Medien beeinflusst.

Wie sehen Sie die Zukunft des Bürgerprotests?

Dr. Ansgar Klein

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Ich glaube, dass die Zukunft des Bürgerprotests in „Ko-Produktionen“ von öffentlichen Gütern durch Zivilgesellschaft und öffentliche Hand liegen kann. Hinsichtlich der Zivilgesellschaft gilt dies für informelle Bewegungen und die organisierte Zivilgesellschaft, wie NGOs, Wohlfahrtsverbände oder Gewerkschaften. Das eine ist Protest, um die politischen Rahmenbedingungen zu gestalten, das andere ist die gesellschaftliche Praxis. Für die großen Themen der Zukunft – Klimakrise wie auch soziale Gerechtigkeit – halte ich es für unabdinglich, strategische Partnerschaften zu bilden und die Infrastruktur für Engagement und Teilhabe in der Gesellschaft auszubauen. So entstehen Formen der Zusammenarbeit mit Akteuren aus den verschiedensten Sektoren wie Öffentlichkeit, Wirtschaft oder Non-Profit. Und das über Ländergrenzen hinweg. Gerade was die Klimakrise angeht, sehe ich die Zukunft des Protests ganz klar in sektor- und länderübergreifenden Kooperationen.

„Gerade was die Klimakrise angeht, sehe ich die Zukunft des Protests ganz klar in sektor- und länderübergreifenden Kooperationen.“Bild eines Anführungszeichens

Dr. Ansgar Klein

Gründungsgeschäftsführer Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement

©BBE

Über Dr. Ansgar Klein

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Dr. Ansgar Klein ist Privatdozent für Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, Publizist und u.a. Mitglied im Netzwerkrat des Netzwerks Bürgerbeteiligung. Er ist Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement seit dessen Gründung 2002. Von 2000 bis 2002 war er wissenschaftlicher Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion für die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“.