26. März 2025

„Niemand ist immun gegen
digitale Desinformation“

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Digitale Desinformationskampagnen sind zu einer zentralen Herausforderung unserer Demokratie geworden. Karolin Schwarz, Journalistin und Expertin für Desinformation, teilt im Gespräch ihre Einschätzung zu aktuellen Trends, neuen Strategien und den Auswirkungen auf Gesellschaft und Demokratie.

Mit Desinformationskampagnen versuchen Demokratiegegner immer mehr Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen. Eine gefährliche Entwicklung – insbesondere, wenn es um politische Entscheidungen geht. © iStock / hamzaturkkol

Frau Schwarz, Sie beschäftigen sich intensiv mit digitaler Desinformation. Welche Trends und Entwicklungen haben Sie im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 beobachtet? Gab es spezielle Narrative oder Strategien, die zum Einsatz kamen?

Karolin Schwarz

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Grundsätzlich werden bei Wahlen immer wieder die gleichen Narrative recycelt: Falschbehauptungen über manipulierte Stimmzettel oder Briefwahl sind uns bereits aus früheren Bundestags-, Europa- oder Landtagswahlen bekannt und auch in diesem Jahr wieder begegnet. Was jedoch auffällig war: Russische Akteure haben vermehrt Desinformation verbreitet. Insbesondere Narrative über vermeintlichen Wahlbetrug. Es wäre übertrieben zu behaupten, Russland hätte auf die Wahl Einfluss genommen. Die Versuche, sich einzumischen, waren aber deutlich wahrnehmbar und sehr professionell. So gab es eine Reihe von Videos, die angeblich aus Leipzig stammten, in denen behauptet wurde, die AfD sei auf bestimmten Stimmzetteln nicht zu finden. Es handelte sich hierbei um gefälschte Stimmzettel, dadurch wirkten die Videos eher authentisch.

Welche Mechanismen sorgen dafür, dass digitale Desinformation die Meinungsbildung beeinflusst?

Karolin Schwarz

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Aus meiner Sicht beeinflusst digitale Desinformation die Meinungsbildung vor allem durch drei zentrale Mechanismen. Einerseits durch den Confirmation Bias, also den Bestätigungsfehler. Dieser sorgt dafür, dass wir Menschen besonders empfänglich für Informationen sind, die unser bestehendes Weltbild bestätigen. Wir suchen aktiv nach solchen Informationen und neigen dazu, ihnen leichter Glauben zu schenken – auch wenn sie falsch sind. Im Kontext der Wahlen könnte das bedeuten, dass jemand, der ohnehin ein geringes Vertrauen in die Demokratie hat oder eben an Wahlmanipulationen glaubt, durch Desinformation in dieser Ansicht bestätigt wird. Das verfestigt dann die Meinung zusätzlich. Außerdem soll Desinformation häufig emotionalisieren und vor allem Wut, Neid oder Angst und dadurch entsprechende Reaktionen auslösen. Andererseits spielt Unsicherheit eine entscheidende Rolle, insbesondere in Momenten, in denen Informationen fehlen oder die Lage unklar ist – wie an einem Wahltag oder kurz davor. Diese Phasen von Ungewissheit werden oft genutzt, um Lücken mit Falschmeldungen und Gerüchten zu füllen. Der konkrete Einfluss auf die tatsächliche Wahlentscheidung ist aber schwer messbar.

Digitale Desinformation ist einer von vielen Angriffen auf die Demokratie.Bild eines Anführungszeichens

Karolin Schwarz

Journalistin und Expertin für Desinformation

Welche Gruppen oder Wählerschichten sind besonders anfällig für digitale Desinformation?

Karolin Schwarz

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Es gibt sehr unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Studien zu diesem Thema. Niemand ist immun gegen digitale Desinformation. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sowohl junge als auch ältere Menschen anfällig sind – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Online stoßen sie auf verschiedene Problematiken und Inhalte, die sie empfänglich machen, wobei die relevanten Themen und auch die genutzten Plattformen je nach Altersgruppe variieren. Trotz dieser Unterschiede handelt es sich um ein generationsübergreifendes Problem. Aktuell beobachte ich zudem besonders Veränderungen unter progressiven, liberalen Personen. Politische Veränderungen weltweit werden häufiger mit Erzählungen erklärt, die verschwörungsideologische Elemente enthalten. Das liegt nicht zuletzt an der zweiten Amtszeit Donald Trumps, die geprägt ist von einem Dauerfeuer an Maßnahmen, Willkür und extremen Angriffen auf unser Zusammenleben. Dieser Umstand ist nicht gleichzusetzen mit der Masse an menschenfeindlicher, zerstörerischer Desinformation, die insbesondere durch rechtsextreme Akteure verbreitet wird, aber er erschwert die Debatte um mögliche Lösungsansätze.

Wie demokratiefeindlich ist digitale Desinformation?

Karolin Schwarz

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Digitale Desinformation ist einer von vielen Angriffen auf die Demokratie. Desinformation und Verschwörungserzählungen gehören zu einem größeren Ganzen und verfolgen das Ziel, das Vertrauen in demokratische Strukturen, Institutionen, Parteien und auch in die Medien Stück für Stück abzubauen und zu unterwandern. Es handelt sich hier um eine Langzeitstrategie, die darauf ausgelegt ist, demokratische Systeme langfristig zu destabilisieren. Entsprechend müssen wir unsere Lösungsansätze und Strategien darauf ausrichten. Es ist unbestritten, dass Desinformation eine erhebliche Gefahr für die Demokratie darstellt. Ein gutes Beispiel dafür sind die Entwicklungen in den USA. Dort haben rassistische, antisemitische und destabilisierende Desinformationsnarrative bereits deutlich ihren Einfluss gezeigt. Diese Erzählungen sind in den Köpfen vieler Menschen fest verankert und beeinflussen, wie sie auf politische Entscheidungen reagieren.

Das ist erst der Anfang einer neuen, veränderten Diskussion um Plattformregulierung und deren globale Auswirkungen.Bild eines Anführungszeichens

Karolin Schwarz

Journalistin und Expertin für Desinformation

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat mit dem Abschaffen von Faktenchecks auf Meta-Plattformen die Tür für Fake News und Desinformation weiter geöffnet. Welche neuen Herausforderungen kommen möglicherweise auf uns zu?

Karolin Schwarz

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Die Entscheidung von Mark Zuckerberg betrifft zunächst hauptsächlich die USA. Ich gehe jedoch davon aus, dass er auch einen Weg finden wird, dies in Europa umzusetzen. Meta orientiert sich aktuell stark an X und Elon Musk. Es ist also zu erwarten, dass auch andere Plattformen diesem Beispiel folgen werden. Wir sehen zudem, dass Fact-Checking und die Forschung zu Desinformation seit Jahren unter Beschuss stehen. Das Thema wird zunehmend delegitimiert oder als Zensur etikettiert. Plattformbetreiber ziehen sich hier aus der Verantwortung – nicht ohne Hintergedanken. Bleiben wir beim Beispiel Meta: Mark Zuckerberg nähert sich inhaltlich Regierungen wie der Trump-Administration an. Das wird durch seine Aussagen zu gesellschaftlichen und politischen Themen in Interviews deutlich. Diese Nähe spiegelt sich auch in seinem Unternehmen Meta wider: In den vergangenen Jahren wurden interne und externe Warnungen zu Desinformation und anderen gefährlichen Inhalten oft ignoriert. Die Herausforderungen, die durch Plattformen wie Meta entstehen, werden daher künftig noch komplexer. CEOs vernetzen sich immer stärker mit politischen Akteuren – einer von ihnen ist bereits Regierungsberater – und können so auch Druck auf europäische Regierungen ausüben und versuchen, Regulierungen zu verhindern oder abzuschwächen. Die Frage ist, wie die EU darauf reagiert – aber eines ist klar: Das ist erst der Anfang einer neuen, veränderten Diskussion um Plattformregulierung und deren globale Auswirkungen.

Welche Maßnahmen können Politik und Gesellschaft ergreifen, um der Verbreitung von Falschinformationen entgegenzuwirken?

Karolin Schwarz

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Das Problem erfordert eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien. Wir brauchen eine langfristige, gezielte Förderung von Demokratieprojekten. Zudem müssen wir uns kontinuierlich fragen, wo Verbesserungen möglich sind. Welche Leerstellen gibt es? Wo fehlen uns Konzepte? Wo müssen wir näher hinschauen? Ein konkretes Beispiel aus meiner Heimat Sachsen-Anhalt: Dort wurden kürzlich hohe Summen an Fördergeldern des Programms „Demokratie Leben“ abgelehnt – mit Stimmen der AfD. Die Konsequenzen sind gravierend, denn die wenigen Akteur*innen, die vor Ort aktiv sind, stehen ohnehin unter Druck. Fehlen nun auch noch die finanziellen Mittel, verschärft das die Situation enorm. Deshalb ist Solidarität ein wichtiger Faktor. Wir dürfen nicht den Rechtsextremen und Desinformationsverbreiter*innen hinterherlaufen und ihre Methoden kopieren. Stattdessen braucht es internationale Kooperationen, strategische Zusammenschlüsse und entschlossenes Handeln. Dazu gehören die Medien, die politischen Parteien, die Zivilgesellschaft, Institutionen und Behörden. Sie alle müssen Antworten entwickeln, die Resilienz stärken und zugleich auf schwierigere Entwicklungen vorbereitet sein.

Haben Sie hierfür konkrete Vorschläge?

Karolin Schwarz

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Niemand sollte mehr Inhalte auf Plattformen wie X verbreiten, außer es handelt sich um essenzielle Public-Service-Informationen wie Verkehrsmeldungen oder Notfallhinweise. Der Besitzer dieser Plattform verbreitet selbst gezielt Desinformationen, stärkt Rechtsextreme weltweit und gibt antisemitischen und rassistischen Stimmen eine Bühne. Zudem braucht es dringend sinnvolle Kontrollmechanismen für soziale Netzwerke. Plattformen in privater Hand, die ausschließlich von Einzelpersonen wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg geführt werden, sind problematisch. Diese Machtkonzentration auf Einzelpersonen passt nicht in eine Zeit, in der Wahlkampagnen, öffentliche Diskussionen und politische Prozesse online verhandelt werden. Wir brauchen unabhängige Kontrollinstanzen, die wirksam sind und Transparenz schaffen. Nur so können wir die Machtkonzentration bei Einzelpersonen einschränken. Aber auch auf persönlicher Ebene kann jede und jeder etwas beitragen. Wir können in unserem Umfeld aktiv widersprechen. Das kann in der WhatsApp-Gruppe sein, auf der Facebook-Seite von Personen, die wir kennen, oder in persönlichen Gesprächen. Außerdem sollten wir diejenigen stärken, die von Desinformationskampagnen angegriffen werden. Oft erleben betroffene Menschen enorme Hasswellen und freuen sich über jede Form von Unterstützung. Eine einfache, nette E-Mail kann schon viel bewirken – ein kleines Zeichen, das zeigt, dass sie nicht allein sind.
© Andi Weiland

Über Karolin Schwarz

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Karolin Schwarz ist freie Autorin, Journalistin und Expertin für Desinformation, Rechtsextremismus im Netz und Rechtsterrorismus. Sie hält weltweit Vorträge und gibt Trainings, unter anderem in Schweden, Singapur, Bulgarien, Bangladesch und dem Libanon. Als Consultant und Analystin unterstützte sie Organisationen wie die Bundeszentrale für politische Bildung in Forschungsprojekten zu Desinformation im Kontext von Wahlen, organisiertem Hass im Netz und der Förderung von Medienkompetenz.